Mehr Tote im Krankenhaus als im Straßenverkehr. Doch die Ärzte werfen der AOK Pfusch bei den Zahlen vor. Die Krankenkasse sagt: Es ist noch viel schlimmer.

Hamburg/Berlin. Mit großer Empörung haben Ärzte auf eine neue Studie der AOK zu Behandlungsfehlern im Krankenhaus reagiert. Der Präsident der Bundesärztekammer, der HamburgerRadiologe Frank Ulrich Montgomery, erklärte: „Ob es der AOK allerdings wirklich um die Sache geht, darf bezweifelt werden. Vielmehr handelt es sich wohl um das durchsichtige politische Manöver, das Thema mit Negativschlagzeilen zu besetzen. Statt der üblichen Vorwurfspolitik hätten wir gerne von den AOK-Verantwortlichen gehört, was ihr Bundesverband ernsthaft unternimmt, um die Probleme zu mildern.“

Wegen Behandlungsfehlern im Krankenhaus sterben jährlich in Deutschland nach Schätzungen rund 19.000 Patienten. In rund 190.000 Fällen sollen solche Fehler gesundheitliche Schäden bei Patienten verursachen. „Die meisten Fehler entstehen bei operativen Eingriffen“, sagte der Mitherausgeber des neuen AOK-Krankenhausreports, Max Geraedts, bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

Komplikationen entstünden, weil die Ärzte Nachbarorgane verletzten und es zu Blutungen oder Infektionen im OP-Saal komme. Typische Fehler seien auch Verwechslungen bei den Medikamenten und mangelnde Desinfektion der Hände bei Ärzten und Pflegern. Knapp die Hälfte der Todesfälle sei vermeidbar, sagte der Gesundheitssystemforscher der Universität Witten/Herdecke. Je komplizierter ein Eingriffe desto höher das Risiko.

Bei der Gesamtzahl von Fehlern und Todesfällen greift der AOK-Report allerdings auf eine rund acht Jahre alte Erhebung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit zurück. Diese basierte damals auf mehr als 180 großteils internationalen Studien. Der AOK-Report bezieht nun die damals ermittelten Anteile von Fehlern auf die aktuelle Zahl der Klinikfälle in Deutschland. Geraedts wies Kritik an der Methode zurück: Die Zahlen seien gültig, tatsächlich passierten wohl sogar mehr Fehler.

Besonders hoch sei zudem die Zahl der weniger gravierenden, aber dennoch unerwünschten und vermeidbaren Zwischenfälle: Zwischen 360.000 und 720.000-mal passierten in den Kliniken pro Jahr Dinge, die eigentlich nicht passieren sollten.

Als Kernproblem nennt die AOK, dass viele Krankenhäuser auch komplizierte Behandlungen anböten, obwohl ihnen die Erfahrung dafür fehle. So gebe es deutliche Unterschiede beim Einsatz künstlicher Hüftgelenke bei Arthrose: In Kliniken, die in der Rangliste zum Viertel der schlechtesten Krankenhäuser zählen, müssen mindestens 5,7 Prozent der Patienten binnen eines Jahres erneut unters Messer. Beim Viertel der besten Kliniken werde nur bei höchstens 2,6 Prozent der Patienten eine neue OP fällig.

An Kliniken mit weniger als 15 Frühchen pro Jahr hätten zu früh geborene Babys sogar ein um 87 Prozent höheres Risiko zu sterben als an den besten Krankenhäusern.

AOK-Vorstand Uwe Deh forderte eine umfassende Klinikreform. „In den Fokus der Aufmerksamkeit gehören die Menschen.“ Die Krankenkassen müssten stärker in die Lage versetzt werden, ihre Patienten in die besten Krankenhäuser zu lotsen. Auch der Vorstandschef der Barmer GEK, Christoph Straub, forderte eine Konzentration von Eingriffen.

Die Bundesärztekammer sagte, man kehre Fehler nicht unter den Tisch. Ihr Präsident Montgomery sagte: “Man muss die Zahl der festgestellten schwerwiegenden Behandlungsfehler im Verhältnis zur Gesamtzahl der rund 18 Millionen Behandlungsfälle in den Krankenhäusern und mehr als 540 Millionen allein im vertragsärztlichen Bereich sehen.“ Jeder Fehler sei ein Fehler zu viel. Aber die Zahl der Behandlungsfehler bewege sich im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Behandlungsfälle im Promillebereich.

Die Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern hat in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr 55 Behandlungsfehler von Ärzten in Kliniken und Praxen offiziell anerkannt. Darunter waren drei Fehler mit Todesfolge, teilte die Landesärztekammer mit. Die meisten Fehler geschahen demnach in der Unfallchirurgie und der allgemeinen Chirurgie (jeweils 10) sowie in der Orthopädie (7).