Mehrere Touristinnen vergewaltigt. Jede Reise im Subkontinent ist gefährlich. Ein Erfahrungsbericht. Selbst größte Vorsicht ist längst keine Garantie mehr, dass eine junge Frau unbehelligt durch das Land reisen kann.

Neu-Delhi. Der Mann roch nach Schweiß und Rauch. Ich werde diesen Geruch nie vergessen. Im Zug von Mumbai nach Pune, vor der Toilette, zwischen zwei Waggons. Er stellte sich dicht vor mich und presste mich gegen die Wand, die Hände links und rechts neben meinem Kopf. Als Panik in mir aufstieg, öffnete sich die Tür, ein Fahrgast polterte heraus – ich war frei.

Dieser Moment hat mich verändert. Er hat mir unmissverständlich klargemacht: Allein durch Indien zu reisen, das kann für eine junge Frau riskant sein. Auch wenn sie alles richtig macht. Wenn sie weite Kleidung trägt, wenn sie die Augen niederschlägt und niemals lächelt, wenn sie nur tagsüber in voll besetzten Zügen fährt, in der teuren zweiten oder ersten Klasse. Der Vorfall ereignete sich bei meiner ersten Reise ins Land. 2011 war das, ein Jahr bevor die brutale Gruppenvergewaltigung einer Inderin in einem Bus die Öffentlichkeit aufschreckte. Seitdem häufen sich die Übergriffe auf Frauen, auch auf Touristinnen. Und die Serie reißt nicht ab. Jetzt wurden wieder zwei Fälle bekannt: Eine Deutsche, 18, wurde in einem Schlafwagen auf dem Weg von Mangalore nach Chennai missbraucht. In Delhi vergewaltigten mehrere Männer eine Dänin, 51, die sich nach einem Museumsbesuch verlaufen hatte.

Die Touristen sind verunsichert. Das Auswärtige Amt hält es neuerdings für notwendig, Frauen ausdrücklich davor zu warnen, allzu unbekümmert in den Indien-Urlaub aufzubrechen: „Reisende, vor allem Frauen, sollten sich – insbesondere vor dem Hintergrund zuletzt vermehrt berichteter sexueller Übergriffe – stets von Vorsicht leiten lassen“, heißt es auf der Homepage.

„Das soll auf die Problematik sexueller Übergriffe gegen Frauen aufmerksam machen und dazu anregen, sich vor der Reise mit den Risiken sorgfältig auseinanderzusetzen“, sagt eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. „Eine pauschale Empfehlung, dass junge Frauen nicht nach Indien reisen sollten, ist damit jedoch nicht verbunden.“

Doch selbst größte Vorsicht ist längst keine Garantie mehr, dass eine junge Frau unbehelligt durch das Land reisen kann. Damals war ich 30 Jahre alt, mit dem Rucksack unterwegs, seit zwei Wochen in Indien – und ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon unzählige Geschichten gehört. Jede Frau, die in einer der Backpacker-Unterkünfte abstieg, konnte eine erzählen. Viele Geschichten handelten von unverhohlenen Aufforderungen zum Sex, von Grabschereien, von Belästigungen und Anzüglichkeiten. Frauen werden in Indien angestarrt und unverschämt angemacht, das lernte ich schnell. Aber schon damals kursierten auch erste Geschichten über Vergewaltigungen von Touristinnen. Einige Frauen schützten sich mit Kopftüchern und falschen Eheringen.

War das schon immer so? Schaut die Öffentlichkeit jetzt nur genauer hin? „Anmache hat es immer gegeben, aber die extremen Belästigungen und brutalen Übergriffe auf Frauen sind ein Phänomen, das erst in den vergangenen Jahren aufgetaucht ist“, sagt Hans-Joachim Aubert. Der Reisebuchautor war gerade für die Neuauflage seines Reiseführers über Nordindien vor Ort. „Ich bin wirklich schockiert, was dort gerade passiert“, sagt er. „Früher hätte es solche Gewalttaten gegen Touristinnen niemals gegeben.“ Früher. Indien galt immer als harmloses Reiseland mit fröhlichen Menschen, friedlichen Gurus und ausgeflippten Aussteigern – und als absolut sicher, auch für Frauen. Das ist heute anders. Erklären kann sich Aubert diese Entwicklung nicht: „Vielleicht konnte das auch deshalb passieren, weil die Polizei nicht hart durchgreift.“

Zum ersten Mal wird Aubert davor warnen, allein durch Indien zu reisen. „In Städten wie Kalkutta trauen sich Frauen schon nicht mehr allein auf die Straße, weil Männergruppen auf Motorrädern regelrecht Jagd auf sie machen. Touristinnen sollten dort nur in Gruppen oder mit männlicher Begleitung unterwegs sein.“

Indien – ein Land der Vergewaltiger und Frauenhasser? Das nun auch nicht. Inder sind offen, herzlich und unglaublich neugierig. Sie sprechen Touristinnen gern an, und die meisten meinen es einfach nur gut: Wo man herkommt, wo man hingeht, wie man Indien findet. Fast alle sind interessiert oder wollen einfach nur helfen. Auch sie können sich die Vorfälle nicht erklären. Bei einer Indien-Reise im April 2013 begegnete ich bestürzten Hotelbesitzern und fassungslosen Studenten, beschämt über die Gewalttaten. Die rasant wachsende Mittelschicht und die junge Generation in den Städten, aufgeklärt, modern und liberal, setzen sich seitdem intensiv mit dem rückständigen Frauenbild auseinander, das in weiten Teilen der Bevölkerung noch besteht. Doch das Image Indiens hat längst stark gelitten. Der Tourismus war Anfang 2013 bereits um 25 Prozent eingebrochen, bei allein reisenden Frauen sogar um 35 Prozent.

September 2013. Bei meiner letzten Reise musste ich von Delhi nach Pathankot. Wieder mit dem Zug, über Nacht. Nur eine Pritsche in der dritten Klasse war noch frei. Ich buchte erst, als ich wusste, dass ein Freund mich begleiten würde. Im Zug musste ich das Abteil mit einer Bier trinkenden Kricketmannschaft teilen. Die Männer starrten mich ununterbrochen an. Ich drehte mich auf meiner Pritsche mit dem Gesicht zur Wand und verharrte so bis zum nächsten Morgen. Ich war froh, dass ich nicht allein unterwegs war.