Schweizer und Deutsche lassen ihre kranken Angehörigen in Asien betreuen. Die Pflege soll besser, die Kosten niedriger sein. Aber es gibt auch Kritik.

Chiang Mai/Bangkok. Lautes Lachen dringt aus dem Swimmingpool, vermischt mit den Klängen von Windspielen. Eine Gruppe von Senioren spielt mit einem gelben Ball, ihre Betreuer machen mit. Susanna Kuratli, einst eine erfolgreiche Malerin, schwimmt eine Runde, mit einem Lächeln im Gesicht. Ehemann Ulrich schaut ihr zu. Bald wird er eine sehr schwere Entscheidung treffen müssen: Ob er seine Frau, mit der 41 Jahre lang verheiratet ist, hier zurücklässt, 9000 Kilometer von daheim, oder ob sie zurück nach Hause bringt, in die Schweiz.

Die 65-jährige Susanna Kuratli leidet an Alzheimer und würde sicher in ihrer Heimat gut versorgt. Aber ihr Ehemann meint, dass hier, in der Einrichtung Baan Kamlangchay („Heim für Pflege, die von Herzen kommt“) im nördlichen Thailand, die Betreuung nicht nur weniger teuer ist, sondern auch persönlicher als daheim in der Schweiz. Die Patienten leben in einzelnen Häusern innerhalb einer Gemeinde, werden zu örtlichen Märkten, Restaurants und Tempeln gebracht und erhalten rund um die Uhr persönliche Pflege. Die monatlichen Kosten von umgerechnet knapp 2800 Euro sind ein Drittel der Summe, die Susanna Kuratlis Betreuung in einem durchschnittlichen Heim in der Schweiz verschlingen würde.

Kuratli hat sich sechs Monate Zeit für die Entscheidung gegeben, während er an der Seite seiner Frau in Baan Kamlangchay lebt. Zurzeit neigt er dazu, Susanna in Thailand zu lassen. „Manchmal bin ich eifersüchtig“, sagt er. „Wenn ich meiner Frau die Hand reiche, nimmt sie sie nicht, aber wenn ihre Pflegekraft ihre Hand nimmt, bleibt sie ruhig. Sie scheint glücklich zu sein. Wenn sie mich sieht, fängt sie an zu weinen. Vielleicht erinnert sie sich daran, wie es einmal war und versteht es, aber kann es nicht mehr in Worten ausdrücken.“

Kuratlis Situation ist kein Einzelfall. Zunehmend viele Menschen in westlichen Nationen stecken in einem ähnlichen Dilemma. Die Zahl der Alzheimer-Patienten wächst, die Kosten für die Betreuung steigen, das Angebot an qualifizierten Pflegekräften und Einrichtungen hält kaum Schritt mit der Entwicklung. Länder in weiter Ferne bieten oft kostengünstigere und – so meinen jedenfalls manche – bessere Betreuung. Der entstehende Trend beunruhigt einige Experten, die meinen, dass die Entwurzelung den Alzheimer-Kranken schadet, etwa Angstzustände erhöht. Andere kontern mit dem Argument, dass die Qualität der Pflege wichtiger sei als der Ort.

Generell herrscht ein gewisses Unbehagen über die Idee, kranke ältere Menschen weit wegzuschicken. Aber es kommt immer häufiger vor, auch in Deutschland. Mehrere Tausend Alzheimer-Patienten, aber auch Senioren mit anderen Krankheiten, sind bereits von hier aus nach Osteuropa, Spanien, Griechenland und die Ukraine gebracht worden. Zu den Anbietern billigerer Pflege gehören Einrichtungen auf den Philippinen. Ungefähr 100 Amerikaner suchten hier zurzeit einen Betreuungsplatz, schildert J.J. Reyes, der eine Senioren-Gemeinde nahe Manila plant. Auch Einrichtungen in Thailand bereiten sich auf die Aufnahme weiterer Alzheimer-Patienten vor. In Chiang Mai etwa, einer netten, von Bergen umgebenen Stadt im Norden des Landes, soll Mitte des Jahres ein zweites Heim im Stil eines Feriendomizils eröffnet werden.

Nach Angaben der britischen Organisation Alzheimer's Disease International gibt es weltweit mehr als 44 Millionen Menschen, die unter dieser Krankheit leiden. Es sei zu erwarten, dass diese Zahl bis 2050 auf 135 Millionen wächst.

Betreuung im Ausland ist in der Regel nicht von Krankenversicherungen abgedeckt, das heißt, sie muss aus eigener Tasche bezahlt werden. In der Schweiz würde die staatliche Versicherung für zwei Drittel der Pflege von Susanna Kuratli aufkommen. Aber da Privatkliniken mit Spitzenbetreuung dort umgerechnet 11.000 Euro monatlich oder sogar noch mehr kosten würden, könnte Ulrich Kuratli es in Thailand finanziell günstiger haben.

Baan Kamlangchay wurde vom Schweizer Martin Woodtli gegründet. Er hatte als Mitglied der Gruppe „Ärzte ohne Grenzen“ vier Jahre in Thailand verbracht und kehrte dann in seine Heimat zurück, um sich um seine an Alzheimer erkrankte Mutter zu kümmern. Er brachte sie nach Chiang Mai, wo sie der erste „Gast“ in der Pflegeeinrichtung wurde. Woodtli nimmt das Wort „Patient“ nie in den Mund.

Im Laufe der nächsten zehn Jahre kaufte oder mietete der Psychologe und Sozialarbeiter acht Häuser, in denen derzeit 13 Patienten aus der Schweiz und Deutschland wohnen. Fast jeden Nachmittag versammelt sich die Gruppe in einem privaten Park zum Schwimmen, Essen und Ausruhen auf Sonnenliegen. Dazu gibt es regelmäßig Ausflüge in die Umgebung.

Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft sagt, dass die Anpassung an einen fremden Ort für die meisten Erkrankten schwer sei, weil sie in einer Welt mit Erinnerungen an früher lebten. „Sie haben an ihren eigenen Wohnplätzen und in ihren eigenen Gemeinden eine bessere Orientierung. Freunde, Familienangehörige und Nachbarn können sie besuchen. Auch wegen der Sprache und aus kulturellen Gründen ist es für die meisten am besten, in ihrem Heimatland zu bleiben.“

Manfred Schlaupitz gehört zu den „Gästen“ in Baan Kamlanggchay. Er sitzt zurückgelehnt in einem Liegestuhl, seine Pflegerin massiert vorsichtig seine Beine. Wie eine Reihe anderer Alzheimer-Patienten reagiert Schlaupitz auf Musik. Manchmal singen sie zusammen eines seiner Lieblingslieder: „Yesterday“.