Oberbayer David Göttler will den Nanga Parbat im Himalaya besteigen. Er wäre der erste Deutsche, der im Winter den Gipfel erreicht.

München. Es wird nicht gerade das, was man eine vergnügungssteuerpflichtige Unternehmung nennt: Temperaturen jenseits von Minus 50 Grad. Windböen schneller als 100 Stundenkilometer. Lawinen. Erfrierungen. Hunger. Einsamkeit. Aber wenn David Göttler und Simone Moro all das überwinden und schaffen, was sie sich vorgenommen haben, dann werden sie Geschichte schreiben. Die beiden Bergsteiger, aus München der eine, aus Bergamo der andere, sind jetzt zum Nanga Parbat aufgebrochen und wollen ihn bis zum Gipfel besteigen. Eine alpinistische Großtat, an der sich schon Dutzende Seilschaften versucht haben. Und die noch keiner gelungen ist.

8215 Meter, der neunthöchste Berg der Welt. Der Nanga Parbat ist eine frei stehende Pyramide im Westen des Himalayas. Kälter, windiger, abgelegener als die meisten anderen hohen Berge – seine Winterbesteigung ist eine der wirklich großen Trophäen für die Alpinisten unserer Zeit. Extrembergsteiger Benedikt Böhm, der schon mehrere Achttausender mit Ski bestiegen und abgefahren hat, sagte: „Der Berg ist im Sommer schon schwer genug. Im Winter ist es noch mal eine andere Liga!“

Die NS-Propaganda machte ihn einst zum „Schicksalsberg der Deutschen“, im Unterschied zum „britischen“ Mount Everest oder dem „italienischen“ K2. Zwei riesige Expeditionen, unterstützt vom Reichssportführer bis hin zur Reichsbahn, scheiterten in den 30er-Jahren. Auf diesen und zwei weiteren feldzugartigen Touren starben mindestens 38 Menschen. Bis der Innsbrucker Hermann Buhl 1953 als erster Mensch auf dem Gipfel des Nanga Parbat stand. Lange war die Todesquote die höchste unter den Achttausendern, Reinhold Messner verlor auf dem Berg 1970, nach der Durchsteigung der Rupalwand, seinen Bruder. „Mein Alleingang am Nanga Parbat war vielleicht das eleganteste, was ich als Alpinist je gemacht habe“, sagte Messner. „Im Winter hätte ich das sicher nicht geschafft!“

An einer Winterbesteigung des Nanga Parbat beißen sich seit einem Vierteljahrhundert Spitzenbergsteiger aus aller Welt die Zähne aus. Jetzt nehmen Moro und Göttler einen neuen Anlauf – in Konkurrenz zu mindestens zwei weiteren Teams. Der Oberbayer David Göttler wäre der erste Deutsche, der im Winter auf einem Achttausender stand. Er ist 35, staatlich geprüfter Bergführer und hat schon vier Achttausender bestiegen – unter anderem als Kameramann für andere Spitzenbergsteiger. Das heißt, mit Extra-Gewicht auf dem Rücken. Und meist auch mit mehr Höhenmetern in den Knochen, wegen des Auf und Abs für die optimalen Aufnahmepositionen.

Simone Moro, 46, ist so etwas wie der Sebastian Vettel unter den Winterbergsteigern: Er hat drei Achttausender als Erstbegeher unter dem Gürtel, einen Angriff auf den Nanga Parbat musste er vor knapp zwei Jahren 250 Höhenmeter unterhalb des Gipfels abbrechen – zu viel Schnee. Von seinen „normalen“ Achttausenderbesteigungen schreibt Moro in seinem Buch („In Eiseskälte“): „Ich fühlte mich wie ein schlichter Bergliebhaber, wie ein Tourist in extremer Höhe. Ich kehrte mit einem nur scheinbar persönlichen Erfolg nach Hause zurück, der für die Geschichte des Alpinismus und für die Erforschung der Welt keinerlei Bedeutung hatte, sowie mit einem ungestillten Verlangen nach dem Unbekannten, nach Entdeckungen.“

Der Schwarzwälder Ralf Dujmovits, 52, ist der erste Deutsche, der auf allen Achttausendern stand – und er ist auch zum Nanga Parbat aufgebrochen. Er will aber über eine andere Route gehen als Moro und Göttler, die erst in einigen Wochen auf dem Gipfel ankommen könnten. Wie Touristen werden sich die Alpinisten, die in diesen Tagen auf dem Weg ins Basislager sind, am Nanga Parbat sicher nicht fühlen. Denn das Winterbergsteigen in großen Höhen ist derzeit die extremste, gefährlichste, härteste Spielform des Alpinismus.

Die Phase des „Eroberungsbergsteigens“ ist Geschichte. Alle großen Berge der Erde hat man bestiegen – oft um jeden Preis, oft mit riesigen Trecks aus Trägern und Köchen. Das „Schwierigkeitsbergsteigen“, also der möglichst komplizierte Weg auf den Gipfel (etwa die Bezwingung der großen Nordwände in den Alpen), das war die nächste Phase im Alpinismus. Das „Verzichtsbergsteigen“, Alpinismus ohne künstlichen Sauerstoff, dafür steht Messner, der erste Mensch, der alle Achttausender ohne Sauerstoffflaschen meisterte. Erst danach, ab den frühen 80er-Jahren, wurden hohe Berge auch im Winter begangen. Reinhold Messner steht Winterbegehungen skeptisch gegenüber. Wenn die letzten beiden Achttausender „gemacht“ seien, werde diese Mode auch im Himalaya aufhören. „Und dann“, sagt Messner, „interessiert sich die Öffentlichkeit vielleicht wieder mehr für die wirklichen Herausforderungen.“