Vor einem Jahr wurden in einer Grundschule in Newtown 20 Kinder mit einem Sturmgewehr getötet. Nach dem Entsetzen kam der Ruf nach schützenden Gesetzen. Getan hat sich etwas – doch nicht in die erhoffte Richtung.

Newtown. Trauern möchte Newtown in Ruhe. Die Menschen in der amerikanischen Stadt haben die Medien gebeten fernzubleiben, wenn sich am Sonnabend ihr Albtraum zum ersten Mal jährt. Jener 14. Dezember, an dem der Amokläufer Adam Lanza in der „Sandy Hook“-Grundschule 20 Kinder und sechs Erwachsene aus ihrer Mitte riss. Doch ihre unmissverständliche Botschaft sollte die Öffentlichkeit zwei Tage zuvor in einem Gedenkgottesdienst in der Kathedrale von Washington hören.

„Wir sind heute mit dem gemeinsamen Ziel hier, unserer Angehörigen zu gedenken und die Welt zu einem sichereren Ort zu machen“, sagte Gilles Rousseau, Vater der getöteten jungen Lehrerin Lauren Rousseau. Sie hatte noch versucht, die verschreckten Kinder zu beruhigen, als Lanza mit seinem Sturmgewehr mordend durch die Klassenräume zog und schließlich auch sie erschoss.

„Ein Jahr nach dem Amoklauf leben wir Amerikaner noch immer mit der ansteckenden Seuche der Schusswaffengewalt“, mahnte Dekan Gary Hall in der Washingtoner Kathedrale. Und er wiederholte, was er bereits vor einem Jahr gesagt hatte: „Die Waffen-Lobby passt nicht zur Lobbygruppe der Kreuze.“

Mehr als Tausend Waffengegner bestärkten ihn in der Gedenkveranstaltung. Seit dem Anschlag von Newtown seien in den USA bereits 32.000 Menschen durch Schusswaffen gestorben. Einige davon starben in anderen Schulen. Doch Mahnungen wie diese erreichen in den USA nicht jeden.

David Kediak etwa ist stolz auf sein neues T-Shirt. „Ich habe die Waffenrechtshysterie von 2013 überlebt“ steht provokant auf dem Rücken. Der Waffenfanatiker aus dem Bundesstaat New Mexico findet den Spruch „einfach cool“. „Sie wollen uns jedes Mal unsere Rechte nehmen, wenn so etwas passiert. Aber wir lassen das nicht zu.“

„Es ist mein verdammtes Recht, eine Waffe zu haben“, sagt Kediak. „Ich bin kein Idiot, wie dieser Typ. Fangt die Idioten. Aber lasst uns einfachen Leute in Ruhe.“ Es klingt fast drohend. Neben ihm sitzen seine beiden Söhne, beide im Kindergartenalter. Ob er keine Angst um die beiden habe, schließlich würden jedes Jahr Dutzende Kinder bei Schießunfällen getötet. „Ich kann mit einer Waffe umgehen“, sagt er trotzig. „Und meine Waffen sind sicher.“ Und wo bewahrt er sie auf. „Im Schrank. Aber ganz oben!“

Auch Lanzas Mutter hatte ihre Waffen im Schrank. Mit einem Amoklauf hat sie ganz sicher nicht gerechnet, dennoch wurden mit ihrem Sturmgewehr sechs- und siebenjährige Kinder erschossen, so klein, dass sie vermutlich noch nicht einmal eine Vorstellung davon hatten, was „Tod“ bedeutet. Eigentlich war es kein Amoklauf, es war ein Massaker. Wehrlosere Menschen als 20 Kinder, vermutlich wimmernd und nach ihren Eltern schreiend, kann man sich kaum vorstellen.

Entsprechend laut war der Ruf nach einer Einschränkung des Waffenrechts. Abschaffen wollte den Zweiten Verfassungszusatz, der das Recht, Waffen zu besitzen, festschreibt, keiner – aber braucht man zu Hause ein Sturmgewehr? Große Magazine mit Dutzenden Schuss? Gewehre schon für Kleinkinder?

Die Front reichte von Präsident Barack Obama („Ich werde sämtliche Macht meines Amtes nutzen, um Tragödien wie diese zu verhindern“) über CNN-Moderator Piers Morgan („Der Irrsinn in Form von militärischen Waffen muss von der Straße“) bis hin zu General a. D. Stanley McChrystal („.223-Munition ist zum Töten entwickelt. Das ist sinnvoll im Krieg. Aber ich sehe nicht den Ansatz eines Grundes, was das in unseren Städten soll“).

Doch die Gegner erreichten wenig. Wieder und wieder scheiterte Obama bei seinem Ruf nach schärferen Regeln am Widerstand im Kongress und dem Druck der mächtigen Waffenlobby NRA. Die stemmte sich selbst gegen Vorschriften, um die zu Hause produzierten – jedoch tödlichen – Plastikpistolen aus 3D-Druckern besser zu kontrollieren. Da sich der Kongress noch zu keinem Verbot der abnehmbaren Metallteile durchringen konnte, lassen sich die gefährlichen Plastikwaffen unbemerkt durch Metalldetektoren und Sicherheitskontrollen schleusen.

Das politische Gezerre hilft den Hinterbliebenen in Connecticut nicht. Und auch der Wirbel um den Jahrestag. Schmerzlich mussten die Anwohner erfahren, wie die Notruf-Bänder des traumatischen Ereignisses veröffentlicht wurden. Mühevoll verarbeitete Traumata kamen hoch, als die Mitschnitte im Fernsehen liefen. Der Pfarrer konnte seine Worte kaum in Worte fassen. „Es zerreißt uns innerlich“, sagte er.

In Newtown soll es am Sonnabend einen Gottesdienst geben. Für 20 Familien wird der Tag noch schrecklicher als die 364 davor. Einen Tag später werden einige Menschen in den ganzen USA den „Waffen retten Leben“-Tag begehen und im Fernsehen mit Spots für Waffen werben. „Unsere Botschaft ist, dass Waffen Leben retten“, sagt Organisator Alan Gottlieb. „Es kann nicht im Interesse der öffentlichen Sicherheit sein, sogenannte waffenfreie Zonen zu schaffen, in denen Menschen wehrlos kriminellen Angriffen ausgesetzt sind.“