Vor der Insel Lampedusa ist ein Boot mit 500 Afrikanern an Bord gesunken. Viele ertranken, darunter eine schwangere Frau. Bisher wurden 133 Leichen geborgen.

Lampedusa. Sie wollten ein Leuchtfeuer anzünden, in der Hoffnung, dass vorbeifahrende Fischerboote ihr Schiff im Dunkeln orten und in den rettenden Hafen lotsen würden. Jemand tränkte eine Wolldecke mit Benzin, das sollte eine Fackel werden, erzählen Zeugen später. Die Insassen des völlig überfüllten Flüchtlingskahns hätten das Ufer schon gesehen, hier, nur wenige Hundert Meter von der sogenannten Kanincheninsel entfernt – einem Naturparadies vor Lampedusa, wo die letzten Wasserschildkröten des Mittelmeers ihre Brut züchten. Aber die Flüchtlinge wollten sicher landen, denn obwohl das Meer in dieser Oktobernacht ruhig und warm war, kann die Landung an der schroffen Küste sehr kompliziert sein.

Aber nur wenige Stunden später bietet sich am Hafen der Insel ein Bild des Grauens: Dutzende Tote liegen in grünen und schwarzen Säcken auf der Kaimauer, es sind die Leichen der Schiffsinsassen. Denn kurz vor dem Ziel wurde den Flüchtlingen ihr verzweifelter Versuch, von irgendjemandem gesichtet zu werden, zum Verhängnis. Ausgelaufenes Benzin fing wohl Feuer, das Schiff geriet in Brand und kenterte, die 500 Menschen fielen ins Wasser. Viele ertranken, darunter eine schwangere Frau, ein Neugeborenes und zwei Kleinkinder. „Sie sind so klein, zu klein“, stammelt die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, mit gebrochener Stimme in die Fernsehkameras. „Es ist ein Horror, eine ungeheuerliche Tragödie. Es muss endlich Schluss damit sein!“ Ununterbrochen hieven Helfer die Leichensäcke von den Booten der Küstenwache, „und es kommen immer mehr!“

Nicolini hat angeordnet, die Toten im Hangar des Inselflughafens aufzubahren, weil es keinen anderen Raum gibt, der groß genug wäre. Bis zum Nachmittag zählen die Helfer 133 Tote. Die Zahl dürfte aber steigen, weil noch mehr als 200 Personen vermisst sind. Nur etwas mehr als 150 der rund 500 Bootsinsassen konnten gerettet werden. Giusi Nicolini hat schon viele Flüchtlingstragödien auf Lampedusa miterlebt, „aber so grausam war es noch nie“. Die Bürgermeisterin ist wütend auf die Gesetzgeber, die „sogar verhindern, dass Menschen gerettet werden können“. Es gebe Fälle von Fischerbooten, die in Not geratene Schiffbrüchige gerettet hätten und gegen die später ein Verfahren eröffnet worden sei.

Regierungschef Enrico Letta spricht von einer „ungeheuren Katastrophe“ und sagt, man müsse endlich Italiens restriktive Einwanderungsgesetzgebung überdenken. Humaner und ehrlicher klingen da die wenigen Worte von Papst Franziskus. „Es ist eine Scham! Lasst uns für die toten Männer, Frauen und Kinder, für ihre Angehörigen und alle Flüchtlinge beten“, sagt er nach Bekanntwerden der Tragödie. Der Pontifex hatte Lampedusa und die dortigen Auffanglager für Immigranten im Juli besucht und die Gleichgültigkeit der Welt angesichts der vielen Toten beklagt. Bürgermeisterin Nicolini weiß diese Gesten zu schätzen „Seit der Papst hier gewesen ist, ist die Öffentlichkeit endlich aufmerksamer geworden“, sagt sie. „Seine Worte haben viel geändert.“

Der Reporter des staatlichen TV-Senders RAI, Rino Cascio, interviewt seit Stunden Helfer und spricht mit Flüchtlingen. „So weit ich die Leute verstehe, kommen sie aus Somalia“, erzählt er. „Ihre Reise war ruhig, und alle waren in gutem gesundheitlichen Zustand.“ Das bestätigt der Funktionär der Gesundheitsbehörde, Antonio Candela. „Wir haben heute die Nacht durchgearbeitet und über 400 Flüchtlinge von einem anderen Kahn geholt. Sie kamen aus Syrien“, berichtet er.

Syrer waren es auch, die am Montag an der Südostküste Siziliens strandeten; 13 wurden tot geborgen. Seit Anfang 2013 waren den Unglücken der Flüchtlingsboote schon 200 Menschen zum Opfer gefallen. Während bis vor wenigen Monaten vor allem Schwarzafrikaner über Libyen in Lampedusa landeten, kommen jetzt öfter Boote aus dem östlichen Mittelmeer mit Flüchtlingen aus Syrien. Erst am Donnerstag war eine Studie erschienen, wonach diese Route bei Schlepperbanden hoch im Kurs steht. Bei den Kriegsflüchtlingen aus Syrien schaffen sie es, bis zu 12.000 Dollar (rund 8800 Euro) pro Person und Überfahrt zu kassieren. Trotzdem bieten sie nur morsche Kähne, die oft schon bei leichtem Seegang zerbersten. Ein Schleuser des Unglücksbootes von Lampedusa konnte bereits verhaftet werden. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes.

Die italienische Regierung will wegen der neuerlichen Katastrophe einen nationalen Trauertag ausrufen. Ministerpräsident Letta hat bereits das Kabinett zu Beratungen zusammengerufen.