300 Tonnen verseuchtes Kühlwasser sind aus der japanischen Atomruine ausgetreten. Zahl der Krebsfälle unter Kindern steigt auf 18.

Tokio. Ein erneutes Leck in der Atomruine Fukushima ist offenbar deutlich schlimmer als von den Behörden bislang angenommen. Wie die Atomaufsichtsbehörde am Mittwoch mitteilte, werde sie mit der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA in Wien darüber beraten, den Vorfall auf Stufe 3 der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (Ines) anzuheben. Damit würde das Leck als „ernster Zwischenfall“ eingestuft statt wie bislang mit der Stufe 1 („Anomalität“).

Der Atombetreiber Tepco hatte zuvor bekannt gegeben, dass rund 300 Tonnen verstrahlten Kühlwasser aus einem Auffangtank ausgelaufen waren. Das übrige Wasser wurde am Mittwoch umgefüllt.

Unterdessen ist die Zahl von in Fukushima lebenden Kindern mit Schilddrüsenkrebs weiter gestiegen. Wie der japanische Fernsehsender NHK berichtete, wurde bei Untersuchungen bei sechs Kindern, die zum Zeitpunkt des Unfalls vom 11. März 2011 18 Jahre oder jünger waren, Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Damit stieg die Zahl der Krebsfälle unter Kindern auf 18.

Ob jedoch der GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ursächlich für die Krebserkrankungen sei, könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, erklärte ein Untersuchungskomitee der Präfekturverwaltung von Fukushima.

Infolge des Erdbebens und Tsunamis vom 11. März 2011 war das AKW verwüstet worden. Dabei kam es zu Kernschmelzen. Seither pumpen die Reparaturtrupps unentwegt Wasser zur Kühlung in die Reaktoren. Die dabei anfallenden riesigen Mengen verseuchten Wassers werden in Tanks gefüllt, die auf dem Gelände errichtet wurden. Das verseuchte Wasser soll zwar aufbereitet werden, um es erneut zur Kühlung einzusetzen. Erschwerend hinzu kommt aber, dass jeden Tag Hunderte Tonnen Grundwasser in die Reaktorgebäude eindringen und sich mit dem kontaminierten Kühlwasser vermischen. Kürzlich hatte Tepco zugegeben, dass tagtäglich rund 300 Tonnen belastetes Wasser ins Meer sickern.

Das aus einem der Hunderte von Auffangtanks ausgetretene Wasser enthält laut Tepco unter anderem Strontium, das Wissenschaftler auch als „Knochenkiller“ bezeichnen. Es schädige das Knochenmark und könne Leukämie (Blutkrebs) auslösen. Die Ursache des Lecks war auch am Mittwoch noch ungeklärt.

Tepco hatte der Atombehörde anfangs gemeldet, dass schätzungsweise 120 Liter ausgelaufen seien. Davon ausgehend hatte die Behörde den Zwischenfall mit Stufe 1 eingeordnet. Einen Tag darauf korrigierte Tepco die Menge ausgetretenen Wassers jedoch deutlich auf 300 Tonnen. Daher hält die Behörde jetzt eine Gefahrenstufe auf 3 für eher angemessen. Zunächst hatte es auch geheißen, das Wasser sei wohl nicht ins Meer gesickert. Das ist aber nicht sicher. Tepco wurde angewiesen, dies nun genau zu untersuchen.

Das jetzt ausgetretene Wasser ist nach Angaben der Atomaufsicht so stark verseucht, dass ein Mensch, der sich unmittelbar daneben aufhält, innerhalb einer Stunde das Fünffache der Strahlung abbekommt, die für AKW-Mitarbeiter innerhalb eines Jahres als noch zulässig gilt. Nach zehn Stunden treten erste Anzeichen der Strahlenkrankheit auf wie Übelkeit und ein Rückgang der weißen Blutkörperchen.

Es ist bei Weitem nicht die erste Panne, die an dem fast vollständig zerstörten Kraftwerk seit dem GAU auftrat. Tepco war wegen seines Krisenmanagements bereits in der Vergangenheit heftig in die Kritik geraten. Jüngst hatte die Firma eingeräumt, dass radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer geflossen sei. Der Chef der Atomsicherheitsbehörde übte harsche Kritik. „Ich weiß nicht, ob es ein angemessener Vergleich ist, aber es ist wie in der Geisterbahn in einem Vergnügungspark, und wie schon gesagt, es passiert ein Missgeschick nach dem anderen“, sagte Shunichi Tanaka.

Die Havarie in dem AKW vom 11. März 2011 selbst war auf der höchsten Stufe 7 („Schwerste Freisetzung“) eingestuft worden – ebenso wie der Atomunfall in Tschernobyl. Die Präfekturverwaltung von Fukushima lässt daher die Schilddrüsen aller in der Region lebenden Kinder, die zum Zeitpunkt des Atomunfalls vom 11. März 2011 im Alter von 18 Jahren oder jünger waren, untersuchen. Das sind etwa 360.000 Kinder. Bis Ende vergangenen Monats wurden davon 210.000 Kinder untersucht. Neben den bisher 18 diagnostizierten Krebsfällen besteht bei 25 Kindern ein „Verdacht“ von Krebs, zehn Kinder mehr als bisher.