Wer einen Herzinfarkt hatte, sollte bei Viagra vorsichtig sein. Kardiologen raten Patienten, offen mit ihrem Arzt über Sex zu reden – bis hin zu den richtigen Stellungen.

Chicago. Wie steht es nach einem Herzinfarkt mit dem Sex? Ein Thema, das wenige Kardiologen gerne mit ihren Patienten besprechen. Doch das sollten sie, und zwar frühzeitig und wiederholt, empfehlen Forscher jetzt. Herzpatienten sollten wissen, dass oftmals auch nach einem Infarkt Intimität möglich sei.

Gemeinsam haben sich diese Woche die europäische Fachgesellschaft der Kardiologen (European Society of Cardiology) und ihr US-Gegenstück, die American Heart Association, zu Wort gemeldet. Sie raten Kardiologen, mit ihren Patienten darüber zu reden, wann und wie diese wieder Sex haben können. Sogar das Thema, welche Stellungen beim Geschlechtsverkehr für Patienten nach einem Schlaganfall, einem Infarkt oder bei einem Herzleiden ratsamer sind als andere, solle nicht ausgeklammert werden.

„Sexuelle Gesundheit ist ein wichtiger Bestandteil der Gesamtgesundheit des Einzelnen“, sagte Elaine Steinke, Professorin für Krankenpflege an der amerikanischen Wichita State University und Hauptautorin der Erklärung. Ärzte und Pflegepersonal würden nur selten spontan das Thema Sex anschneiden, sondern meist darauf warten, dass Patienten darauf zu sprechen kämen, sagte Tiny Jaarsma, Mitautorin der Veröffentlichung und Professorin an der schwedischen Universität Linköping. „Oft ist es so, dass die Dienstleister im Gesundheitswesen die Patienten nicht aufregen wollen oder dass es ihnen selbst peinlich ist.“

Was bei der Liebe in Körper und Seele abläuft

Dabei beschäftigen Patienten meist zahlreiche Fragen und Ängste, wie es nach einem schweren medizinischen Vorfall um das Sexleben bestellt ist: Kann die Erregung beim Geschlechtsverkehr einen weiteren Infarkt auslösen? Darf man Viagra einnehmen? Was, wenn beim Sex der Defibrillator losgeht? Vielen Patienten sind derartige Fragen so unangenehm, dass sie sie gar nicht erst stellen. Deshalb empfehlen die kardiologischen Gesellschaften Ärzten, Pflegepersonal und anderen im Gesundheitsdienst Beschäftigte, von sich aus die Initiative zu ergreifen und mit Männern und Frauen sowie deren Partnern das Gespräch zu suchen.

Viele Herzpatienten könnten nach Rücksprache mit ihren Ärzten gefahrlos wieder Geschlechtsverkehr praktizieren, heißt es in dem Leitfaden, wobei es im Einzelnen oft vom Gesamtzustand der Patienten abhänge. Jemand mit schwachen, chronischen Problemen geht tendenziell eher ein geringes Risiko ein, dass bei ihm Sex zu weiteren Schwierigkeiten führe. Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz dagegen sollten mit dem Geschlechtsverkehr warten, bis sich ihr Zustand gebessert hat.

Die beiden kardiologischen Fachgesellschaften empfehlen Patienten, dass diese zunächst ihre Fitness testen, bevor sie sich wieder an Sex versuchen. So könne man probieren, ob man ohne Herzstechen, Atemlosigkeit oder andere Symptome rasch zwei Stockwerke hinaufgehen könne. Sollten sich mäßige Aktivitäten als zu anstrengend erweisen, sei vom Geschlechtsverkehr abzuraten. Auf Intimität müsse jedoch nicht vollständig verzichtet werden, Umarmungen und Küssen seien durchaus denkbar.

Geschlechtsverkehr selbst solle an vertrauten, bequemen Orten stattfinden, es sei auf Faktoren zu verzichten, die zu einer zusätzlichen Belastung führen, so die Gesellschaft. Dazu würden auch außereheliche Affären zählen.

Sollte es beim Sex zu ungewöhnlichen Symptomen wie Brustschmerz, Schwindel oder anschließender Schlaflosigkeit kommen, sei der Arzt zu konsultieren, heißt es in dem Leitfaden, der vor detaillierten Ratschlägen nicht zurückschreckt. Patienten etwa, die einen Bypass hinter sich haben, sollten in der Missionarsstellung möglichst nicht oben liegen. Und für Patienten mit Herzinsuffizienz, die an Atemlosigkeit leiden, könnte es bequemer sein, eine eher aufrechte Position einzunehmen, so Steinke.

„Ärzte müssen ihre Patienten über den Zustand ihres Sexlebens befragen“ – das sei die Botschaft, die sie Medizinern immer mit auf den Weg gebe, sagte die bekannte Sexualtherapeutin Ruth Westheimer. Man solle sich auch nicht daran stören, dass das Thema beiden Seiten möglicherweise unangenehm sei. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Partner der Herzpatienten oftmals mindestens genauso große Angst vor Sex haben, weil sie fürchten, einen neuen Infarkt herbeizuführen“, sagte Westheimer. „Ich rate Patienten, ihre Fragen dem Arzt vor einem Termin schriftlich zuzuschicken. So ist sichergestellt, dass die Frage zur Sprache kommt, und der Arzt kann sich darauf vorbereiten.“

Der Kardiologe Vijay Divakaran vom Scott & White Hospital in Texas bezeichnete die gemeinsame Erklärung als wichtig. Sie werde die Praxis verändern, meinte der Arzt. Kardiologen hätten keine formale Ausbildung darin, sexuelle Themen mit ihren Patienten zu besprechen, aber es werde einfacher, sagte Divakaran: „Manchmal reden die Patienten darüber nicht, sondern googeln es einfach. Und online herrscht viel Irrglauben. Fragt man die Patienten erst einmal, wird man überrascht sein, dass es fast immer ein Thema ist.“