Noch ist der Beginn des Mordprozesses gegen Oscar Pistorius nicht absehbar. Aber längst tobt ein Kampf um die öffentliche Meinung über den „Blade Runner“.

Kapstadt. Auf Oscar Pistorius wartet 110 Tage nach den tödlichen Schüssen auf seine Freundin Reeva Steenkamp ein aufwühlender Gerichtstermin. Vor dem Gerichtsgebäude in Pretoria will an diesem Dienstag die Frauenliga der Regierungspartei ANC gegen die Bevorzugung des reichen, populären Sportstars protestieren, der trotz des Mordverdachts gegen Kaution in Freiheit leben darf. Viele Schaulustige werden erwartet.

Journalisten von über 60 Medien aus aller Welt haben sich für den vermutlich nur zehn Minuten dauernden Termin angesagt. Dutzende von Fotografen und Kameraleuten wollen die ersten Bilder von einem Pistorius mit Bart machen. Der behinderte Profisportler will nach Aussagen seines Onkels in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden.

Vielleicht hat das auch mit Berichten über den „Blade Runner“ im Johannesburger Vergnügungsviertel „Design Quarter“ zu tun, die im April in Südafrika großes Erstaunen auslösten. Die angeblich fröhlichen Restaurant- und Barbesuche des beinamputierten Profisportlers beschädigten das Bild des tief traurigen, gebrochenen Mannes, der seine Freundin nur aus Versehen erschossen haben will.

Er habe in der Tatnacht am 14. Februar geglaubt, auf einen Einbrecher zu schießen, beteuert er. Das Image des Mannes, der tragischerweise in Panik und aus Versehen „die große Liebe seines Lebens“ tötete, so die Schilderung seines Onkels, könnte für den 26-Jährigen existenziell wichtig sein. Denn ihm droht bei einem Schuldspruch lebenslange Haft.

Auch wenn der Jahrhundertprozess Südafrikas nach Ansicht von Juristen frühestens im August, wahrscheinlich aber erst Anfang 2014 beginnen wird, hat längst ein erbitterter Kampf um die öffentliche Meinung begonnen. Alles deutet auf einen heftig umstrittenen Indizienprozess hin, der Jahre dauern könnte. Mehrere Dutzend Zeugen sollen aussagen, darunter Experten und Anwohner, Freunde und Angehörige des Angeklagten sowie des Opfers Reeva Steenkamp. Für die vermutlich schwierige Urteilsfindung könnte die öffentliche Meinung eine wichtige Rolle spielen – davon gehen offenbar alle Seiten aus.

Also ließen sich der Onkel und der Manager von Pistorius von CNN und dem „Spiegel“ interviewen. Sie schilderten den 26-Jährigen als deprimierten Mann, der psychotherapeutische Betreuung braucht. Aber auch die Eltern des Opfers suchten erstmals die Öffentlichkeit und stellten sich dem britischen Senders „Channel 5“. Schon vor der Ausstrahlung war klar, dass die Aussagen von Barry und June Steenkamp Zweifel an der Darstellung von Pistorius nähren würden, es habe zwischen ihm und seiner Freundin keinen Streit gegeben.

Viele versuchen aus dem Fall Pistorius Kapital zu schlagen

Die Steenkamps müssen nicht nur mit dem Schmerz des Todes ihrer lebenslustigen, schönen und erfolgreichen Tochter fertig werden. Ohne die finanzielle Unterstützung des Models und TV-Sternchens waren sie dem „Weekend Argus“ zufolge gezwungen, ihr schönes Haus in Port Elizabeth zugunsten eines bescheiden Domizils zu verlassen. Auch aus Geldnot hätten sie die Medienrechte an eine britische Agentur verkauft, die auch das TV-Interview arrangierte. „Es ist schwierig für einfache Leute wie uns mit den vielen Anfragen fertig zu werden“, begründeten die Steenkamps ihren Schritt.

In Südafrika versuchen viele den Pistorius-Prozess für sich zu nutzen. Die jüngst im britischen Sender Sky News gezeigten Tatortaufnahmen sind einem Polizeiexperten zufolge vermutlich unerlaubt von Polizisten in der Tatnacht mit dem Handy aufgenommen und verkauft worden.

Auch angebliche Freunde von Pistorius melden sich: Der wegen Drogenhandels verurteilte Geschäftsmann Glenn Agliotti warnte Pistorius vor einem „sehr schmutzigen Prozess“. Der Staatsanwaltschaft seien alle Mittel recht, „um sich die Feder eines Erfolgs an den Hut stecken zu können“, sagte er dem TV-Sender eNCA. Er habe jüngst Pistorius auf einer Grill-Party getroffen und ihm „jede erdenkliche Hilfe“ angeboten.

Für einen Beteiligten des Verfahrens gibt es schon jetzt an der Schuld von Pistorius keinen Zweifel. „Wenn er nicht für schuldig befunden wird, dann ist das Justizsystem dieses Landes wirklich im Eimer“, meinte Ex-Polizeioffizier Hilton Botha in der „Sunday Times“. Er war der leitende Ermittlungsbeamte in der Tatnacht, verlor aber wegen haarsträubender Mängel bei der Spurensicherung den Polizeijob. So war eine Pistolenkugel übersehen worden, Botha hatte ohne Schutzhüllen an den Schuhen den blutverschmierten Tatort betreten.

Er hatte schon bei der ersten Gerichtsanhörung im Februar zugeben müssen, dass am Tatort keine Belege dafür gefunden worden seien, die den Darstellungen von Pistorius widersprächen. Dennoch glaubt er Pistorius bis heute kein Wort: „Er hat direkt durch die Toilettentür geschossen. Dachte er, der Einbrecher sitzt auf dem Klo?“