Aufwendiges Projekt: Interdisziplinär untersuchen Forscher Zusammenhänge von Schulgewalttaten. Präventionsprojekte sind erfolgreich.

Berlin. Zwei Waffen, mehrere Hundert Schuss Munition: Ein schwer bewaffneter Student wollte am Montag in Orlando im US-Bundesstaat Florida offenbar gezielt die Bewohner eines Studentenwohnheims töten. Die Polizei verhinderte die Tat in letzter Sekunde. Zunächst hatte der 30-Jährige einen Mitbewohner mit einer Waffe bedroht und dann den Feueralarm ausgelöst - wohl um die rund 500 Bewohner des Hauses ins Freie zu locken, wo er sie besser hätte erschießen können. Als die Polizei jedoch sofort anrückte, nahm er sich mit einem Kopfschuss das Leben.

Was hat dieser vereitelte Anschlag mit dem Amokläufer von Winnenden oder auch mit Anders Breivik gemeinsam? Welche Parallelen gibt es? Was lief wann schief?

Experten verschiedenster Disziplinen wollen diesen Fragen in einem ehrgeizigen Projekt nachgehen. Ein aufwendiges Forschungsprojekt soll Amokläufe und sogenannte Schoolshootings erstmals detailgenau und im Zusammenhang untersuchen. "Zwar kommen derartige Taten in unseren Schulen insgesamt sehr, sehr selten vor, aber dennoch liegen wir in Deutschland gleich nach den USA auf Platz zwei", sagte Professor Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin bei der Vorstellung des Target-Projekts am Dienstag.

Drei Jahre lang werden Kriminologen, Soziologen und Psychologen die in Deutschland vollendeten, abgewendeten und auch einen Teil der angedrohten Taten untersuchen. Je nach Definition gab es seit 1999 in Deutschland elf bis zwölf tödliche Schulamokläufe von jugendlichen Tätern.

Aber allein nach Winnenden 2009 gab es über 3000 Androhungen. Dennoch ist das Fachwissen über Täterprofile, ihren Lebensweg, ihr Umfeld immer noch mangelhaft und vereinzelt, kritisieren die Experten. "Die Hintergründe sind oft schlecht erarbeitet. Häufig fehlen Quellen, es gibt kaum Interviews mit überlebenden Tätern und auch Gerichtsakten werden selten erforscht", sagte Target-Koordinator Scheithauer. Von verschiedenen Seiten wollen die Experten deshalb die Gewalttaten beleuchten. Die Kriminologin Professor Britta Bannenberg von der Uni Gießen zieht dabei Vergleiche zu den Amokläufen Erwachsener. Sie sagt: "Wir haben kein funktionierendes Bedrohungsmanagement." Das habe der Fall Breivik gezeigt, der durch Internet und Medienberichte zudem eine große Nachahmungswirkung auf potenzielle, junge Täter haben könne.

Auch der Psychologe Jens Hoffmann aus Darmstadt sieht enge Bezüge zwischen jugendlichen und erwachsenen Tätern. "Bei den Erwachsenen müssen wir damit rechnen, dass, ähnlich wie in den USA, künftig mehr derartige Taten auch am Arbeitsplatz oder in Gerichten passieren."

Ergänzend dazu werden sich die Kriminologen der Deutschen Polizeihochschule anderen Tötungsdelikten Jugendlicher zuwenden. So soll durch Target, das vom Bundesbildungsministerium mit drei Millionen Euro gefördert wird, ein vielfältiges Mosaik detaillierter Informationen entstehen. "Wir erhoffen uns davon weitere konkrete Ansätze für die Prävention", sagte Scheithauer.

Ergebnisse des bundesweiten Schoolshooting-Präventionsprojekts Networks Against School Shootings (Netwass) zeigten am Dienstag ein sehr positives Feedback von den über 100 Teilnehmerschulen in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg. An mehr als 80 Prozent dieser Schulen wurden im siebenmonatigen Testzeitraum insgesamt über 240 Vorfälle gemeldet - die meisten harmlos. "In gut zehn davon war aber es gut, dass mit den Schülern gearbeitet wurde", sagte Scheithauer.