Nach Einschätzung von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner steckt eine „enorme kriminelle Energie“ im Pferdefleisch-Skandal.

Berlin. In den Pferdefleisch-Skandal sind europaweit mehr Unternehmen verwickelt als bislang bekannt. Mühsam kommt Licht in das Netz aus Produzenten, Lieferanten und Händlern von Fertigprodukten, in denen möglicherweise nicht deklariertes Pferdefleisch verarbeitet wurde. „Der Betrugsfall nimmt immer größere Dimensionen an. Hier wurde offenbar mit großer krimineller Energie gehandelt“, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Politiker fordern schärfere Kontrollen und Strafen im Kampf gegen die Tricksereien mit Fleisch.

Zusätzlich zu einem EU-Aktionsplan wolle der Bund gemeinsam mit den Ländern ein nationales Kontrollprogramm mit zusätzlichen Tests aufstellen, kündigte Aigner an. „Nur so können wir das tatsächliche Ausmaß dieses Skandals erfassen.“ So wollen die Verbraucherminister aus Bund und Ländern an diesem Montag über Konsequenzen aus dem Pferdefleisch-Skandal beraten. Dabei solle auch das weitere Vorgehen abgestimmt werden, teilten Aigner und ihre hessische Amtskollegin Lucia Puttrich (CDU) in Berlin mit.

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Renate Künast, verlangte in der „Passauer Neuen Presse“, dass verarbeitetes Fleisch gekennzeichnet und die Aufzucht- und Mastbetriebe benannt werden müssen. Unterdessen suchen in Deutschland und anderen europäischen Ländern Kontrolleure weiter nach verdächtigen Lebensmitteln, die Ermittlungen gegen mutmaßliche Betrüger laufen.

Vertreter der EU-Staaten hatten sich am Freitag darauf geeinigt, bei der Fahndung nach falsch deklariertem Pferdefleisch auf Gentests zu setzen. Außerdem wollen die Staaten nach Rückständen des entzündungshemmenden Medikaments Phenylbutazon suchen, das in Pferdefleisch in Großbritannien entdeckt worden war. Das Mittel ist für den Einsatz bei Tieren, die später verzehrt werden sollen, nicht zugelassen. Nach Angaben des Bundesverbraucherschutzministeriums wurde dieser Stoff bislang in Fertigprodukten in Deutschland nicht nachgewiesen.

Das am Freitag vom Discounter Lidl aus den Regalen entfernte Nudelgericht „Tortelloni Rindfleisch“ stammt entgegen erster Angaben österreichischer Behörden nicht aus Stuttgart. In der Alpenrepublik war zuvor ein nicht deklarierter Anteil Pferdefleisch in Ware mit dieser Bezeichnung gefunden worden. Wie ein Lidl-Sprecher auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mitteilte, fertigt die Hilcona AG das Produkt in Schaan im Fürstentum Liechtenstein. „Die Rohware dafür stammt von Vossko aus Ostbevern (Nordrhein-Westfalen) oder dem Schweizer Hersteller Suttero aus Gossau“, sagte er.

Der münsterländische Hackfleisch-Hersteller Vossko überprüft nach eigenen Angaben seine Ware. „Wir beziehen das Fleisch von mehreren Lieferanten, wir haben alle Lieferanten angeschrieben und alle haben uns mitgeteilt, dass es keine Vermischung von Fleischsorten gibt“, sagte Vossko-Vertriebsleiter Josef Knappheide auf Anfrage. „Momentan laufen die Analysen, Ergebnisse liegen uns noch nicht vor.“

Hilcona stehe sowohl mit Vossko als auch mit Suttero „in engem Kontakt und setzt alles daran, den Sachverhalt lückenlos aufzuklären“, erklärte Hilcona am Samstag auf Anfrage. Genaueres könne man dazu vorerst nicht mitteilen. Man sei intensiv um Klärung bemüht, versicherte Hilcona-Sprecher Mark Vogelgsang.

Zum Schutz von Verbrauchern will Frankreich rasch eine freiwillige Kennzeichnung von Fleisch erreichen, wie Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll der Zeitung „20 Minutes“ sagte. Das französische Unternehmen Spanghero soll für falsch deklarierte Lieferungen verantwortlich sein – weist die Vorwürfe jedoch zurück.

Ermittlungen zufolge hat Spanghero aber wissentlich solches Fleisch etwa an den Hersteller Comigel verkauft. Dort wurde es verarbeitet und auch nach Deutschland geliefert. Insgesamt soll Comigel rund 4,5 Millionen Fertiggerichte mit falsch deklariertem Fleisch von Spanghero hergestellt haben, die an mindestens 28 Unternehmen in 13 europäischen Ländern verkauft wurden.

Von einer verdächtigen Lasagne sind rund 179.000 Packungen nach Deutschland geliefert worden. Dies gehe aus einer EU-Information hervor, sagte ein Sprecher des Bundesverbraucherschutzministeriums. Das Nudelgericht sei in Deutschland unter verschiedenen Markennamen verkauft worden.

In Großbritannien gingen die Untersuchungen in dem Fleischskandal am Sonnabend unvermindert weiter. Wie die Polizei mitteilte, wurden bei Razzien in drei Fleisch verarbeitenden Betrieben in London und in Hull, Nordost-England, umfangreiches Probematerial und Computerunterlagen beschlagnahmt.

In Bulgarien nahm eine Supermarktkette 86 Kilogramm Lasagne aus dem Verkauf. Wie Landwirtschaftsminister Miroslaw Najdenow in Sofia mitteilte, sollen Testproben zur Untersuchung in ein Berliner Labor geschickt werden. Die Lasagne kam nach Bulgarien aus Frankreich.