Der beinamputierte südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius erschoss seine Freundin Reeva Steenkamp. Irrtümlich, wie er behauptet

Kapstadt. Der Fall erschüttert die internationale Sportwelt wie 1994 die spektakuläre Verhaftung des mordverdächtigen Football-Stars O. J. Simpson. Am Donnerstagmorgen wurde der mehrfache Paralympics-Sieger Oscar Pistorius in Handschellen aus seinem Haus in Pretoria geführt. Als der Polizeiwagen mit ihm auf dem Rücksitz vom Grundstück der Wohnanlage "Silverlakes" fuhr, beugte Pistorius den Oberkörper weit auf die Knie. Deckung vor den Kameras, deren Nähe er mit seinem gewinnenden Lächeln so oft gesucht hatte.

Wenige Stunden zuvor, gegen vier Uhr morgens, hatte der 26-Jährige seine Freundin erschossen. Das Model Reeva Steenkamp, 30, wurde von vier Schüssen getroffen. Steenkamp, die in Südafrika bereits auf dem Cover des Lifestyle-Magazins "FHM" posierte, arbeitete auch als TV-Moderatorin. Südafrikanische Medien spekulierten - teilweise unter Bezug auf eine anonyme Polizeiquelle -, sie habe ihn in der Nacht zum Valentinstag überraschen wollen, und Pistorius habe sie für einen Einbrecher gehalten.

Doch Polizeisprecherin Denise Beukes bestätigte diesen Hergang am Nachmittag nicht. Der Vorwurf laute auf Mord. Die Polizei habe Zeugenaussagen vorliegen, denen zufolge "es im Haus Schreie gegeben hat", sagte Beukes. Der Verdächtige werde nun untersucht, dazu gehörten Bluttests und eine Untersuchung der Fingernägel nach DNA-Spuren. Nebulös erwähnte sie auch "Zwischenfälle häuslicher Art", die es in der Vergangenheit in Pistorius' Haus gegeben habe.

Entsprechende Anklagen gegen den Sportler sind allerdings nicht bekannt, auch wenn sein extrovertierter Lebensstil bisweilen für Schlagzeilen sorgte: Der Liebhaber schneller Sportwagen hatte einen Bootsunfall, bei dem Alkohol im Spiel war. Eine Ex-Freundin warf ihm öffentlich Untreue vor, und 2012 drohte Pistorius nach Angaben der Zeitung "The Star" einem Nebenbuhler, ihm die Beine zu brechen.

Seinem internationalen Image als Vorkämpfer für Toleranz und Willenskraft vermochte das kaum zu schaden. Nicht nur in Südafrika gilt er als Star, seitdem er sich das Recht erkämpfte, als beinamputierter Sportler bei Olympischen Spielen antreten zu dürfen. Das "Time"-Magazin zählte ihn im Jahr 2008 zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Pistorius war mit verkrüppelten Füßen zur Welt gekommen. Als er elf Monate alt war, wurden ihm beide Unterschenkel amputiert. Im Behindertensport hält der Leichathlet mehrere Weltrekorde über die Sprintdistanzen, er gewann insgesamt sechs Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen. In den Jahren 2007 und 2008 hatte es eine massive Debatte zu der Frage gegeben, ob sich Pistorius mit seinen Prothesen aus Karbon womöglich einen Vorteil gegenüber nicht behinderten Sportlern verschafft. Der Südafrikaner bekam nach einem langen Rechtsstreit mit dem Internationalen Leichtathletikverband die Starterlaubnis für die Olympischen Spiele 2008, verpasste aber die Qualifikation.

2011 war er in Südkorea der erste Leichtathlet mit amputierten Beinen überhaupt, der an Weltmeisterschaften teilnehmen durfte. Der extrovertierte Sportler erreichte über 400 Meter das Halbfinale. Im vergangenen Jahr nominierte ihn der südafrikanische Leichtathletik-Verband schließlich für die Spiele in London, wo er zum ersten beidbeinig amputierten Athleten der olympischen Geschichte wurde. Im Einzelwettbewerb über 400 Meter schied er im Halbfinale aus, mit der Staffel wurde er Achter. Seine inspirierende Geschichte hat ihn zum ersten Dollar-Millionär des Behindertensports gemacht. Die Autobiografie hat sich Zehntausende Male verkauft.

Nun wird Pistorius viele Fragen beantworten müssen. Sein Haus befindet sich in einem ummauerten Sicherheitskomplex. Wegen der hohen Kriminalität haben viele wohlhabende Südafrikaner ihre Häuser und Wohnungen in solchen Anlagen gebaut; sie sind mit Wachleuten und einem zentralen Eingang besonders geschützt.

Allerdings ereignen sich auch hier immer wieder Einbrüche, da bekannt ist, dass hinter den Mauern meist überdurchschnittlich reiche Menschen wohnen. Die Polizei nannte das Anwesen von Pistorius "sehr sicher", private Wachleute sagten dem TV-Sender ENCA, es habe seit vier Jahren keine Beschwerden wegen Einbrüchen gegeben.

Pistorius hatte dennoch eine Pistole vom Kaliber 9 mm und offenbar auch eine Lizenz dafür. Das war öffentlich bekannt, vor gut einem Jahr hatte er sie bereitwillig einem Reporter der "New York Times" gezeigt, und er ging mit ihm sogar zu einem Schießstand.

Pistorius hat die Dimension seiner Karriere einst treffend selbst auf den Punkt gebracht: "Ich schreibe Geschichte." Sie hat eine Wendung wie aus einem Albtraum genommen.