Sprinter Oscar Pistorius erfüllt sich seinen größten Traum. Der Läufer ohne Waden aus Südafrika wird bei den Olympischen Spielen starten.

London. Wenn Oscar Pistorius am Sonnabendmorgen auf die Laufbahn des Olympiastadions tritt, wird es ein wenig so sein wie bei der ersten Mondlandung: Ein kleiner Schritt für ihn, ein großer für den Behindertensport. Der Südafrikaner fühlt "eine Mischung aus Stolz, Glück und Vorfreude“, er ist sich bewusst, dass er Geschichte schreiben wird. Als erster beinamputierter Sportler läuft Pistorius bei den Olympischen Spielen um Medaillen.

Pistorius ist viermaliger Paralympics-Sieger - in London endet für ihn ein langer Weg voller Widerstände und Rückschläge. Dass er seine Karbonstelzen anzieht und eine körperlich unversehrte Konkurrenz herausfordert, ist aber weiter umstritten. No problem, sagt Pistorius: "Es wird sich immer jemand finden, ein Journalist, ein Professor, der sich einen Namen machen will und behaupten wird, dass Wasser trocken oder Orange eigentlich Grün ist.“

Spätestens seit seinem hart erkämpften Start bei der WM 2011 im südkoreanischen Daegu sieht sich Pistorius als Teil der "normalen“ Leichtathletik. Der 25-Jährige erhält Unterstützung, unter anderem von zwei amerikanischen Legenden der Laufbahn. Olympiasieger Edwin Moses findet, Pistorius sei "eine großartige Geschichte, und darum geht es im Sport“. Doch der ehemalige 400-m-Hürden-Star ahnt: "Wenn er anfängt, 41,6 Sekunden zu laufen, wird die Frage wieder kommen.“

Sprint-Olympiasieger Maurice Greene ist im Grunde genommen der Meinung, "dass wir die Paralympics geschaffen haben, damit Menschen mit Behinderungen sich messen können - weil sie es nicht gegen uns tun können“. Aber wenn nun einer wie Pistoris es trotzdem versuchen wolle und könne, solle er die Chance erhalten: "Warum nicht?“

All die Diskussionen können Pistorius die Freude auf sein Olympia-Debüt nicht verderben. "Darauf habe ich lange warten müssen. Und ich bin bereit. Das werden hoffentlich unglaubliche Wochen in meinem Leben“, sagte Pistorius bei seiner Ankunft auf der Insel.

Fast wäre der olympische Traum noch geplatzt. Nicht wegen seiner umstrittenen Prothesen, sondern weil er schlicht zu langsam gelaufen war. Nur 2011 hatte Pistorius in persönlicher Bestzeit von 45,07 Sekunden einmal die Norm für die Spiele unterboten, in diesem Jahr war er gesundheitlich angeschlagen immer wieder der Qualifikation vergeblich hinterhergelaufen.

Die Erlösung kam Anfang Juli. Das Nationale Olympische Komitee von Südafrika nominierte ihn nicht nur für die 4x400-m-Staffel, sondern auch für das Einzelrennen. Es sei einer der "glücklichsten Tage meines Lebens“, sagte er, "ich bedanke mich bei allen Menschen, die mir dabei geholfen haben, der Athlet zu sein, der ich heute bin“.

In London will Pistorius im Einzel mindestens das Halbfinale erreichen. Mit der südafrikanischen Silberstaffel von Daegu greift er sogar nach Edelmetall. Am 10. August gegen 21.20 Uhr könnte Oscar Pistorius mit dem Sprung aufs Treppchen erneut olympische Geschichte schreiben.