Brisantes Urteil: Kinder dürfen Namen des leiblichen Vaters erfahren. Dokumentation der Spenderdaten aber noch nicht Pflicht

Hamm. Bis zum letzten Moment war nicht klar, ob sie überhaupt erscheinen würde. Doch dann betritt Sarah P., 21, Studentin aus dem nordrhein-westfälischen Plettenberg, zusammen mit Anwalt Markus Goldbach das Gericht in Hamm durch die Sicherheitsschleuse. Sie setzt sich auf die rechte Seite des Saals. Die linke Seite wird leer bleiben, der Beklagte ist nicht erschienen.

Eine musste es ja tun, sonst würde sich nie etwas ändern; und so ist es eben Sarah, die stellvertretend für die Mitglieder des Vereins "Spenderkinder" und für Zehntausende andere in die Öffentlichkeit getreten ist. Sarah P. - gezeugt durch eine anonyme Samenspende in Deutschlands größtem Zentrum für Reproduktionsmedizin in Essen - will wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Und ist diesem Wunsch nun ein großes Stück näher gekommen. Das erstinstanzliche Urteil vom Landgericht Essen, vor dem Sarah P. gescheitert war, wurde am Mittwoch "abgeändert". In seinem Urteil verkündete Richter Thomas Vogt, dass Thomas Katzorke, Betreiber der Samenbank, Auskunft geben müsse über die genetische Abstammung von Sarah P. Die Kenntnis der eigenen Abstammung sei ein fundamentales Recht, das auf dem Grundsatz der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte fuße. Das Wissen um die eigene Herkunft sei ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Identitätsbildung. Eine Revision ließ Vogt nicht zu.

Sarah P. ist nach dem Urteil schnell verschwunden. Ihr Anwalt zeigte sich erleichtert: "Jetzt sind wir nach drei Jahren Kampf davon überzeugt, den richtigen Vater von Sarah auch zu finden." Allerdings ändert das nichts an der Tatsache, dass sich die Betreiber von Samenbanken weiterhin sperren können. Auch Gerichte können sich über das Urteil hinwegsetzen - solange es keine klaren Gesetze gibt. Und die erhoffen sich Sarah P. und die "Spenderkinder" nun infolge ihres ersten großen Sieges. Konkret hieße das, dass Kinder, die ihren biologischen Vater kennenlernen möchten, die Möglichkeit haben, die Auskunft nicht nur bei der Samenbank, sondern bei einer Art zentralem Register einzuholen, weil eine klare Rechtslage in Zukunft Verträge verböte, die dem Spender Anonymität zusichern. Großbritannien lässt schon seit einigen Jahren die Namen der Spender archivieren, damit jedes Kind mit 18 Jahren seinen Erzeuger ausfindig machen kann. In Österreich gilt dies bereits ab 14 Jahren. Doch die Gesetze sind europaweit unterschiedlich, Spanien und die Niederlande garantieren den Spendern nach wie vor Anonymität.

In Deutschland hat der Bundesgerichtshof schon 1989 entschieden, dass es zu den Persönlichkeitsrechten eines Menschen gehört, seine genetische Herkunft zu kennen. Bis heute wurde daraus aber kein Gesetz zur Dokumentation der Spenderdaten abgeleitet. Das Gewebegesetz schrieb 2007 zumindest fest, dass Unterlagen zur Samenspende 30 Jahre aufbewahrt werden. Dabei ging es auch darum, Entstehung von Erkrankungen nachzuvollziehen.

Der Prozess von Hamm drehte sich zum einen um den "Anspruch auf Auskunftserteilung", den die Richter zweifelsfrei feststellten. Und zum anderen, und das wird möglicherweise ein zweites Verfahren zur Folge haben, um die Dokumentation der Spenderdaten. Katzorke behauptete im Prozess, ihm lägen über die Identität der Spender nur noch lückenhaft Dokumente vor. Bis seine Praxis Mitte der 90er-Jahre auf elektronische Datenerfassung umgestellt habe, seien die Spender mit Namen, Herkunft, Geburtstag etc. auf Karteikarten vermerkt worden, die ein Notar aufbewahrte. Die Praxis selbst arbeitete mit chiffrierten Versionen der Karteikarten, auf denen die Eigenschaften des Spenders, wie Blutgruppe und Haarfarbe, vermerkt waren. Der Notar habe irgendwann aufgehört, für ihn zu arbeiten, sagte Katzorke, die Dokumente mit den Spendernamen seien dann an seine Praxis zurückgegangen, allerdings unvollständig. Ausgerechnet diejenigen Karteikarten fehlten, die zur Samenspende 1990 ausgewählt worden seien - so auch für die Mutter von Sarah P.

Im Laufe des Verfahrens hatte Katzorke dann doch noch zwei Karteikarten hervorgeholt, die Spender trugen die Nummern 181 und 261 - beide kämen für den Zeitraum infrage, und Nummer 261 hatte dann auch noch die passende Blutgruppe. Doch wer genau hinter der 261 steht, die zwischen 1989 und 1996 regelmäßig Spenden abgab, das ließe sich ohne die Karteikarten mit Klarnamen nicht mehr feststellen. Die Richter glaubten ihm nicht. Sollte Katzorke sich weigern, die Daten herauszugeben, geht es für Sarah P. zurück ans Landgericht Essen. Dort wird sie einen Antrag auf ein Vollstreckungsverfahren stellen, durch das dem Mediziner die Zahlung von Zwangsgeld (bis zu 25.000 Euro) oder gar Zwangshaft (bis maximal sechs Monate) drohen.