Was Alice Schwarzer mit Helmut Schmidt und Günter Grass verbindet. Ein Geburtstagsgruß von Kulturautor Eckhard Fuhr.

Hamburg. Wenn man definieren wollte, was Feminismus sei, könnte man gleich einen Sack Flöhe hüten. Feminismus ist furchtbar kompliziert. Praktisch denkende Menschen von einfachem Gemüt sind in solch unübersichtlicher Lage dankbar, wenn sie eine Adresse haben, an die sie sich wenden können. Alice Schwarzer ist in Deutschland in Sachen Feminismus diese Adresse, und zwar seit unvordenklichen Zeiten. Sie ist die Feministin, so wie Helmut Schmidt der Staatsmann und Günter Grass der Nationaldichter ist. Man muss damit rechnen, dass das immer so bleibt.

Alice Schwarzer steht wie ein Felsen im Strom der Zeit. Und anders als die katholische Kirche hatte sie noch nicht einmal ein inneres Zweites Vatikanisches Konzil. Mit dem Papst übrigens verkehrt sie auf Augenhöhe. Im Kampf gegen Pornografie und Islamismus ist kluge Bündnispolitik gefordert.

Der kleine Unterschied zwischen Alice Schwarzer und dem Papst besteht darin, dass Letzterer in der - ehelichen - Penetration ein Sakrament und sie in ihr generell einen Gewaltakt sieht. Der Papst sagt, dass Mann und Frau füreinander geschaffen seien und sich mit kirchlichem Segen aneinander erfreuen dürften, ja müssten. Frau Schwarzer betrachtet die Tatsache, dass es Männer und Frauen gibt, als ein von patriarchalischer Macht durchsetztes kulturelles Konstrukt, das erst aufgebrochen werden müsse, bevor die wahre Freude aufkommen könne.

1975 erschien Schwarzers Streitschrift "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen". Kurz gefasst steht darin, dass der übliche Sex zwischen Mann und Frau im Kern eine Vergewaltigung der Frau durch den Mann sei. Auf Liebesglück konnte dieser penetrante Gedanke wie eine zersetzende Säure wirken. Aus dem Schneider waren eigentlich nur Lesben. Nicht dass Alice Schwarzer die lesbische Lebensweise als die einzige für Frauen vertretbare propagierte. Die katholische Kirche verlangt ja auch nicht, dass jeder Mönch oder Priester wird. Aber diejenigen, die den Weg aus dem Gefängnis der Heterosexualität gefunden hatten, die galten schon als so etwas wie Auserwählte.

Nun ist Alice Schwarzer jeder Form von Weltflucht abgeneigt. Vor allem aber entspräche es nicht ihrer Natur, sich mit einem überspannten Minderheitenprogramm in irgendeiner Nische einzurichten. Sie verfügt über das Selbstbewusstsein einer Panzerhaubitze und möchte überall gehört werden und mittendrin, vor allem aber ganz oben mitmischen. Sie gründete 1977 die Zeitschrift "Emma" als feministisches Zentralorgan und ist seitdem ihre Verlegerin und Chefredakteurin. In der Mediengeschichte ist das fast schon eine archäologische Zeitspanne. "Emma" war in der Frauenbewegung nie unumstritten, nicht nur, weil Nachrichten aus der Redaktion nach außen drangen, die Zweifel daran aufkommen ließen, dass Alice Schwarzer weibliche Solidarität nicht nur predigt, sondern auch lebt. Es war auch der rüde erzieherische Anspruch, der vielen Frauen auf die Nerven ging, die nicht bereit oder in der Lage waren, die Welt nur noch durch die Brille der Kritik am Patriarchat zu betrachten. Nach außen aber gelang es "Emma", sich als führendes Fachblatt für Frauensachen zu etablieren.

Doch damit begnügt sich Alice Schwarzer nicht. Sie war gerade erst 29 Jahre alt, als sie die Kampagne "Ich habe abgetrieben" gegen den Paragrafen 218 aus Frankreich nach Deutschland übersetzte. Im "Stern" bekannten zahlreiche prominente Frauen, schon einmal abgetrieben zu haben. Heute gehören solche Medienkampagnen zum Alltagsgeschäft der unterschiedlichsten Nichtregierungsorganisationen. Alice Schwarzer machte den Anfang.

Ihr herrischer Anspruch auf die erste Geige im Feminismus hat ihr natürlich auch viel Gegnerschaft im eigenen Lager eingebracht. Jüngere Frauen begehren gegen die zähen Dogmen aus den 70er-Jahren auf. Die Geschlechterpolitik, die sich an Themen wie Pornografie oder Prostitution abarbeitet, halten sie für schmalspurig und Schwarzers erbitterten Kampf gegen das islamische Kopftuch für eine emanzipationsdogmatische Bevormundung junger muslimischer Frauen. Als "Alice im Niemandsland" wird sie von ihrer Biografin Miriam Gebhardt bezeichnet. Und ihre immer häufiger werdenden Ausflüge auf den Boulevard, ihre Teilnahme an einer Werbekampagne der "Bild"-Zeitung, ihr finster-dogmatisches Auftreten im Vergewaltigungsprozess gegen den Wetterfrosch Kachelmann ließen Stimmen laut werden, dass es nun doch Zeit für den feministischen Ruhestand sei. Dass die CDU sie in die Bundesversammlung entsandte, die Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählte, das mag man auch als Erhebung und Verabschiedung in den Honoratiorenstand verstehen.

Wahrscheinlich wird Alice Schwarzer sich auch in ihrem achten Lebensjahrzehnt nicht zur Ruhe setzen. Das werden manche bedauern. Aber wenn man es recht bedenkt, muss man doch froh sein, wenn sie uns noch lange erhalten bleibt. Sie gehört einfach zur politisch-intellektuellen Möblierung der Bundesrepublik. Wäre die schöner ohne das gute Stück?

Sie fühle sich alterslos, schreibt Alice Schwarzer auf ihrer Homepage. Nur wisse sie nicht, wie sie anderen das mitteilen solle. Mit ihr ist also weiter zu rechnen. In ihren 70. Geburtstag, so kündigte sie es an, tanze sie mit Rock 'n' Roll hinein. Wir gratulieren herzlich.