Nach vielem Hin und Her im ersten Amokprozess musste eine wichtige Zeugin erneut aussagen. Doch diesmal streikte angeblich ihr Gedächtnis.

Stuttgart. Eklat um die Schlüsselzeugin im neuen Prozess zum Amoklauf von Winnenden: Sie wisse viele Details nicht mehr, sagte die Familienbetreuerin am Freitag vor dem Stuttgarter Landgericht wieder und wieder. Auch bei der zentralen Frage, ob ihr der Vater des Amokschützens von Tötungsfantasien seines Sohnes berichtet habe, antwortete die 50-Jährige diesmal nur: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“ Die Gedächtnislücken verärgerten Staatsanwaltschaft wie Nebenklage (Az.: 7 KLs 112 Js 21916/09).

Mit Unterstützung ihres Rechtsbeistands erklärte die Zeugin, sie leide seit dem ersten Prozess unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die ihr Erinnerungsvermögen beeinträchtige. Sie legte ein entsprechendes Attest vor und entband ihre Ärzte von der Schweigepflicht, damit diese vor Gericht aussagen können.

Als Mitarbeiterin der Johanniter-Unfallhilfe hatte die 50-Jährige die Familie des Amokläufers nach der Bluttat betreut. Wegen ihr war das Verfahren gegen den Vater des Täters neu aufgerollt worden. Der Bundesgerichtshof kassierte das erste Urteil, weil die Verteidigung die Schlüsselzeugin nicht befragen konnte.

Das Gericht hatten den Vater des Amokläufers in dem Verfahren unter anderem wegen fahrlässiger Tötung zu 21 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte die Pistole unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt, mit der sein Sohn im März 2009 15 Menschen und sich selbst tötete.

Mehrfach gab es empörtes Raunen im Saal, wenn sich die Zeugin wieder einmal auf ihre Erinnerungslücken berief. Der Druck bei ihrer ersten Aussage sei damals zu groß gewesen, sagte sie. Schon seit der Zeugenbelehrung des Richters ganz zu Beginn habe sie wohl manches nicht mehr richtig zuordnen können.

Die Familienbetreuerin hatte zuerst angegeben, laut dem Vater habe sein Sohn bei einer psychologischen Untersuchung gesagt, er habe einen Hass auf die Welt und wolle Menschen umbringen. Später sagte sie aus, der Familie sei diese Äußerung definitiv nicht bekanntgewesen. Nachdem der Staatsanwalt jedoch ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Strafvereitelung gegen sie eingeleitet hatte, bestätigte sie dann wieder ihre erste Aussage.

Am Freitag nun gab sie an, sie wisse schlicht nicht mehr, ob das Erste oder das Zweite stimme. Sie leide auch unter Schlafstörungen, sei extrem unruhig und habe „negative Gedanken“, sagte sie unter Tränen. Seit Ende 2010 sei sie in ärztlicher und seit Mai dieses Jahres auch in psychoanalytischer Behandlung.

„Sie sehen aber schon, dass das schwer zu verstehen ist“, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski angesichts des nur noch punktuellen Erinnerungsvermögens der Zeugin. Auch der Oberstaatsanwalt Hans-Otto Rieleder äußerte Zweifel. Bei der ersten Befragung habe es gar keinen Druck und keine Einwirkung gegeben. „Sie waren nur unzufrieden, wie Ihre Aussage rüberkam.“ Er machte deutlich, dass auch ein erneutes Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung nicht ausgeschlossen sei. Die Vernehmung der Zeugin soll am Montagnachmittag fortgesetzt werden.

Am Freitagvormittag hatte ein Ermittler erneut berichtet, dass der Vater der 17 Jahre alten Amokschützen nach der Tat „zielgerichtet ins Schlafzimmer“ gegangen war, um nach seiner Waffe zu schauen. Noch in der Nacht vor der Tat habe er nach Angaben in den Vernehmungen die Waffe im Schrank gefühlt. Dies habe er routinemäßig kontrolliert. Woher Tim K. die 280 Patronen hatte, habe der Angeklagte sich nicht erklären können.