Elfjähriger weiter untergetaucht. Behörden glauben, dass Junge einen Helfer hatte. Amtsvormund stellt Strafanzeige wegen Kindesentziehung.

Billstedt. Der Amtsvormund des verschwundenen Jeremie aus Billstedt hat Strafanzeige wegen Kindesentziehung gegen unbekannt gestellt. Seit Dienstag ist der Elfjährige auf der Flucht. Er war bei einer Zirkusfamilie in Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) ausgerissen, kam vermutlich in einem Mercedes-Transporter nach Hamburg. Die Behörden gehen davon aus, dass der Junge nicht allein weggelaufen ist, sondern Helfer hatte.

Weiterhin sucht die Polizei nach dem Jungen, der bei einer weit verzweigten Hamburger Sinti-Familie aufgewachsen ist. In einer von offenbar mehreren Dutzend Wohnungen, in denen Familienmitglieder leben, vermuten Ermittler den Elfjährigen. Die Großeltern - bei ihnen war Jeremie aufgewachsen, weil seine Eltern drogenabhängig waren - behaupten indes, niemand in der Familie wisse, wo sich Jeremie aufhalte. Großmutter Rosita: "Ich mache mir Sorgen, dass Jeremie Opfer eines Verbrechens wurde oder einem Pädophilen in die Hände gefallen ist." Am Mittwoch hatte der Elfjährige sich nach Auskunft der Familie telefonisch bei den Großeltern gemeldet und gesagt, dass es ihm gut gehe. Er wolle mit einem Richter sprechen, damit er zurück zur Familie kommen könne.

Vor zwei Jahren war der stark verhaltensauffällige Billstedter Junge auf Veranlassung des Jugendamts Mitte zu der Familie gekommen, die den Wanderzirkus Monaco betreibt. Dort kümmerte sich besonders die 45-jährige Carmen Sperlich um ihn. Sie hat selbst sieben eigene Kinder. Sie könne sich nicht vorstellen, dass Jeremie allein und freiwillig das Winterlager des Zirkus in Lübtheen verlassen habe, sagte sie am Freitag. Im "Spiegel" schildert sie, dass er zu Beginn seiner Zeit im Zirkus "höchst aggressiv" gewesen sei. Er habe Tiere geschlagen und einem ihrer Söhne einen Kugelschreiber in den Rücken gestoßen. Im Laufe der Zeit sei der Junge aber immer ruhiger und ausgeglichener geworden.

Eine Gutachterin hatte den Jungen mehrfach besucht. Sie stellte fest, dass sein Zustand sich immer dann verschlechterte, wenn er Kontakte zu seiner leiblichen Familie hatte. Jeremie war im Zirkus als Clown aufgetreten und hatte sich um Requisiten gekümmert. Dass er das Feuerschlucken beigebracht bekommen habe, dementiert sie. Das Video, das ihn in Zirkuskleidung bei dieser Tätigkeit zeigt, sei am Rande einer Vorstellung entstanden. Der Junge habe sich den Trick offenbar selbst beigebracht. Sperlich ist in ihrer Rolle als Jeremies Erziehungsbeauftragte Angestellte des Trägers Neukirchener Erziehungsvereins, der vom Jugendamt Mitte mit der Betreuung des Jungen beauftragt wurde. In ihrer Familie sollte der Junge den Zusammenhalt, Vertrauen und Zuneigung kennenlernen. Er habe "Mama" zu ihr gesagt, so Sperlich.