Staatsanwältin sieht besondere Schwere der Schuld. Witwe des ermordeten Mannes: „Tilmann war so voller Leben“.

Dachau. Es ist wohl einer der schwersten Augenblicke ihres Lebens, als sich Gretchen T. am Donnerstag vor dem Landgericht München an den Mörder ihres Ehemannes Tilmann T. wendet. „Das, was Sie getan haben, war sinnlos und es gibt keine Entschuldigung dafür“, sagt die junge Frau, ein Foto mit ihr und ihrem Mann aus glücklichen Zeiten in der Hand. Gretchen T. und die Eltern des vor elf Monaten im Amtsgericht Dachau erschossenen Staatsanwalts beschreiben den 31-Jährigen vor Gericht als warmherzigen Menschen und engagierten Juristen. Bleischwer liegt die Trauer auf den Herzen der Angehörigen. Ihre Worte gehen auch den Zuschauern durch Mark und Bein.

„Tilmann war meine Zukunft“, sagt Gretchen T.. Die Amerikanerin hatte ihn in den USA kennengelernt und war erst kurz vor der Tat mit ihm nach München gezogen. Es war der Beginn eines gemeinsamen Lebens. Sie seien so glücklich gewesen, sagt sie. „Ihn gekannt zu haben, hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Und ohne ihn ist die Welt zweifellos ein großes Stück ärmer geworden.“ Unter Tränen schildert die Frau: „Tilmann war so voller Leben.“

Er habe Richter werden wollen. „Es kam ihm darauf an, etwas Gutes, Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen.“ Die Tat sei besonders schwer zu verarbeiten, weil sie so sinnlos sei. „Er war ein Mann, der diesen Hass nie verdient hatte.“ Dem Angeklagten Rudolf U. wirft Gretchen T. vor: „Und Sie bereuen es nicht einmal.“ Tilmann sei unschuldig gewesen. Auch die Stimme der Dolmetscherin wird dünn, als sie übersetzt, wie die Witwe ihren Ehemann als großherzig, „ehrlich und aufrichtig“ beschreibt. „Die letzten Monate waren für mich unerträglich.“

Tilmann kümmerte sich um autistischen Bruder

Die Mutter des Opfers zitiert aus einer E-Mail ihres Sohnes, in der dieser sich riesig auf die Heimkehr nach Deutschland mit seiner jungen Ehefrau freut. Sie beschreibt ihren „Til“ als liebevollen Familienmenschen, der sich schon als Kind rührend um seinen autistischen Bruder sorgte. Ein beliebter Mitschüler sei er gewesen, habe gerne diskutiert und die Abiturrede halten dürfen. Trotz erstklassiger Noten, eines Stipendiums und Doktorarbeit: „Dünkel, Eitelkeiten, Überheblichkeiten konnten sich bei Til nie einnisten“, betont die Mutter. Er habe doch stets seinen kranken Bruder an seiner Seite gehabt. T. kam, so schildern es am Donnerstag die Angehörigen, mit seiner Ehefrau auch deshalb aus den USA nach München zurück, weil er sich in Zukunft weiter um seinen autistischen Bruder kümmern wollte. Nun verbinde sich mit dem Namen ihres Sohnes „Todesgrauen und panisches Entsetzen“, sagt die Mutter und spricht von „Teufelswerk“.

Das Schicksal der Angehörigen setzt auch Pflichtverteidiger Wilfried Eysell zu. Die Aussagen „musste man erstmal verdauen“, sagt er am Nachmittag in seinem Plädoyer und räumt ein, sein Mandant, der „die Tat gewollt“ habe, habe der Familie von T. große Schmerzen zugefügt. Jedoch sei U. „kein herzloses Monster“, sondern bedauere den Mord.

Auch Verteidigung plädiert auf Mord

Auch der Angeklagte selbst wendet sich zum Abschluss mit dürren Worten an die Angehörigen und beteuert, „dass es mir leidtut als Mensch“. Aller Voraussicht nach wird er am kommenden Donnerstag (29. November, 13.00 Uhr) zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Sowohl Verteidiger Eysell als auch Staatsanwältin Nicole Selzam plädierten auf Mord in Tateinheit mit versuchtem Mord.

Selzam bittet das Gericht zugleich, eine besondere Schwere der Schuld festzustellen, womit eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren als nahezu unmöglich ist. T. sei „kaltblütig ermordet“ worden, bekräftigt sie, während der schwer kranke, beinamputierte Angeklagte Rudolf U. in seinem Krankenbett zu schlafen scheint. „Der Angeklagte war bei dieser Tat voll schuldfähig.“

„Absoluter Vernichtungswillen“

Die Tat ereignete sich vor elf Monaten auf dem Dachauer Amtsgericht, wo sich Rudolf U. wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge verantworten musste. Während der Urteilsverkündung zog er eine Pistole, feuerte um sich und traf den Staatsanwalt tödlich. Der Richter konnte sich unter einem Tisch in Sicherheit bringen. In seinem Geständnis gab Rudolf U. an, er habe T. und den Richter aus Wut über mehrere verlorene Gerichtsverfahren erschießen wollen.

Selzam spricht von „krasser Eigensucht“, in der sich U. über das Lebensrecht Anderer hinweggesetzt habe. Er habe aus niedrigen Beweggründen und in „absolutem Vernichtungswillen“ gehandelt und die Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt. Das Geständnis, kritisiert die Staatsanwältin, sei „ohne jede Reue“ erfolgt. „Man hat das Gefühl, dass er immer noch auf seine Tat stolz ist“, geht eine Anwältin der Nebenklage noch weiter.