Bürgermeister Boris Johnson ist beliebter als Premier Cameron - mit populären Aktionen und trotz vieler Affären

London. "The world king" (König der Welt) lautete seine Standardantwort, wenn Alexander Boris de Pfeffel Johnson als kleiner Junge gefragt wurde, was er einmal werden wolle. In New York geboren und teils in Brüssel aufgewachsen, ist Londons Spaßbürgermeister (Markenzeichen: gewollt zerzaustes strohblondes Haar, rumpeliger dunkelblauer Einreiher, Fahrradhelm) heute der Polit-Star im Land, mit Beliebtheitswerten von 58 Prozent, 22 Prozentpunkte vor Regierungschef David Cameron, einem Vetter um acht Ecken.

Kein Wunder, dass viele Konservative - der Parteitag der Tories findet derzeit in Birmingham statt - in ihm den Hoffnungsträger für die nächste Parlamentswahl sehen. Und zweifellos reizt Johnson, dem Biografen grenzenlosen, wenngleich geschickt verschleierten Ehrgeiz und ein hohes Maß an Eitelkeit attestieren, der Gedanke, Cameron die Krone zu entwinden; gemeinsame Jahre im Internat Eton, an der Uni Oxford und im Unterhaus haben die beiden "Toffs" (reiche Schnösel aus der Oberschicht) zu Intimrivalen gemacht.

Aus seinem Glashaus an der Themse wirft Boris schon die ersten Steine in Richtung Downing Street. Immer öfter kritisiert er Aspekte der Regierungspolitik, wohlweislich stets "im Interesse der Londoner". Während der Premier Heathrow oder andere Hauptstadt-nahe Flugplätze ausbauen will, plädiert Johnson für einen - erheblich teureren - schwimmenden Airport in der Themse. "London ist in vieler Hinsicht für den europäischen Kontinent, was New York für Amerika ist. Wir müssen einen neuen Flughafen haben. Einer der wenigen Gründe, weshalb ich die höchste Macht in England erlangen möchte, ist sicherzustellen, dass das geschieht", sagte er einem US-Magazin.

Hinter der Maske nachsichtiger Menschenfreundlichkeit ("Boris ist eben Boris") rüstet Cameron zum Angriff auf Johnsons Schwachstellen: Erfahrungsmangel in hohen Staatsämtern, Spielernatur und ausschweifendes Liebesleben. "Sollte Boris den roten (Nuklear-)Knopf in die Finger kriegen, würde er ihn drücken, nur um zu sehen, was passiert", warnt ein Downing-Street-Insider. "Wir könnten viel Zeug über sein Privatleben in die Medien lancieren, das die Leute niemals von einem Premierminister akzeptieren würden", droht ein anderer.

Britische Zeitungsleser wissen: Die erste Frau betrog er gleichzeitig mit zwei Journalistinnen, von denen er eine zur Abtreibung zwang. Die zweite, mit der er vier Kinder hat, hinterging er mit einer Kunsthändlerin und versuchte, die gemeinsame Tochter dem Quasi-Verlobten der Geliebten unterzuschieben. Auf die vielen weiteren Affären angesprochen, die ihm nachgesagt werden, entgegnete er einem Freund, er könne nun mal nicht anders. Eine Zeitung nennt ihn bereits (in Anlehnung an die Liebesaffären des ehemaligen italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi) "Borisconi". König der Betten statt König der Welt - ist das die Zukunft des Boris Johnson, der englisches, türkisches, schweizerisches sowie deutsches Blut in den Adern hat? Über den väterlichen Ahnen Prinz Paul von Württemberg (1785-1852) ist er mit der Queen, der Zarenfamilie und dem schwedischen Königshaus verwandt.

Noch beschränkt sich sein Reich auf die 8,3-Millionen-Einwohner-Metropole an der Themse. Dort thront er seit 2008 im gläsernen Rathaus, das aussieht wie ein verunglücktes Ei, als er nach dem Wahlsieg über seinen Vorgänger, Labours "roten Ken" Livingstone, dort einzog. Johnson hatte in seiner typischen Art um Stimmen gebuhlt mit Sprüchen wie: "Wähl die Konservativen, dann kriegt deine Frau größere Brüste, und deine Chance steigt, einen BMW M3 zu fahren."

Dieses Wahlversprechen blieb unerfüllt, manches andere aber wurde eingelöst: So hat "BoJo" die verhasste Innenstadt-Mautzone (12,50 Euro pro Tag) halbiert, die von Livingstone angedrohte Zusatzabgabe (31,25 Euro pro Tag) für Pkw über drei Liter Hubraum abgewürgt, ein Alkoholverbot in allen öffentlichen Verkehrsmitteln durchgedrückt, die 18 Meter langen Gelenkbusse von Mercedes ausgemustert und durch eine Neuauflage des populären Routemaster mit offener Heckplattform zum Auf- und Abspringen ersetzt (allerdings zum Stückpreis von 1,8 Millionen Euro) sowie 8000 stadteigene Mietfahrräder ("Boris Bikes") angeschafft.

Während der glorreichen Olympischen und Paralympischen Sommerspiele flogen ihm die Herzen der Briten zu. 45 Tage lang erheiterte der 48-Jährige vier Milliarden Fernsehzuschauer, mehr als die halbe Menschheit; sogar der Wettergott lachte mit. In den kommenden 18 Monaten plant er, wirtschaftliches wie politisches Kapital daraus zu schlagen, mit Werbereisen nach Indien, Russland, Brasilien, China und Schwellenländern, um Großaufträge für Londoner Unternehmen einzuheimsen. Wir können also gespannt abwarten, was aus dem kindlichen Berufswunsch des Boris Johnson wird ...