Rund sechs Millionen Besucher aus aller Welt werden bis zum 7. Oktober auf der Wiesn erwartet, möglicherweise werden es auch mehr.

München. „Ozapft is“! Mit zwei Schlägen hat Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) am Sonnabend das erste Bierfass angezapft und damit das Münchner Oktoberfest eröffnet. Mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) stieß Ude auf eine friedliche Wiesn an – die erste frisch gezapfte Maß Bier gebührt traditionell dem bayerischen Regierungschef. Wie schon in den Jahren zuvor hatte Ude noch bis zum Vorabend mit einem Trainer das Anzapfen geübt.

Schon vor der offiziellen Eröffnung waren die Bierzelte prall gefüllt. Seit dem frühen Morgen strömten die ersten Münchner bei kühlem Regenwetter zum Festgelände, die meisten festlich herausgeputzt in Dirndl oder Lederhose. Weil das Bier erst ab zwölf Uhr floss, deckten sich viele Besucher in den Läden und Buden rund um die Theresienwiese ein.

Rund sechs Millionen Besucher aus aller Welt werden bis zum 7. Oktober auf der Wiesn erwartet, möglicherweise werden es auch mehr. Denn im Südteil des Festgeländes startete ebenfalls am Samstag das Zentral-Landwirtschaftsfest (ZLF). Dazu werden allein schon 400 000 Besucher erwartet. Die Schau der Bauern sei ein Brückenschlag zwischen Stadt und dem Land, sagte Ude.

Im vergangenen Jahr kamen rund 6,9 Millionen Menschen, tranken 7,5 Millionen Maß Bier und verspeisten eine halbe Million Brathendl plus 70 000 Schweinshaxen und 200 Ochsen und Kälber.

Tracht boomt – eineinhalb Hirsche für eine Lederhose

Die Dame im bunten Kleid mit Schürze, der Herr in der speckigen Lederhose: Was in früheren Zeiten der ländlichen Bevölkerung unter anderem als Arbeitskleidung diente, ist zum Oktoberfest in München salonfähig. Theater, Büro oder Abendeinladung - vor allem das Dirndl ist mittlerweile regelrechtes Allzweck-Outfit und ersetzt Business-Kostüm und Abendkleid gleichermaßen. Tracht boomt seit Jahren – über die Ursachen wird viel spekuliert.

Heimat habe wieder Wert, sagen die einen. Es gehe ums dazugehören, sagen die anderen. Pragmatische Stimmen meinen: Eine Frau im Dirndl oder ein Mann in Lederhose schaut einfach gut aus. „Nur wegen der Wiesn braucht man keine Tracht anziehen“, sagt Wiesn-Stadtrat Helmut Schmid. „Die Tracht gehört zum normalen Leben in Bayern.“

Nicht nur die Bayern, auch Russen und Amerikaner, Australier und Italiener, Asiaten und Afrikaner – alle stürzen sich begeistert in die bayerische Tracht. Manche Gäste besinnen sich auf die eigene Herkunft. Schotten kommen im Kilt, Holländerinnen in Holzschuhen.

„Tracht ist auf dem Vormarsch“, sagt Nina Munz, Assistenz der Geschäftsleitung und Tochter des Geschäftsführers beim Traditionsbetrieb Angermaier. „Die Stammkundschaft kommt aus dem weiteren Münchner Umland. Aber es kaufen auch viele Ausländer – wir merken das im Online-Shop.“ Im vergangenen Jahr verkaufte Angermaier rund 25 000 Dirndl und 15 000 Lederhosen. Das Hirschleder kommt hauptsächlich aus Neuseeland, Kanada, Deutschland und Österreich - aus eineinhalb Hirschen wird eine Lederhose.

Aus Japan und den USA kommen besonders viele Anfragen. Allein dieses Jahr hätten fünf Amerikanerinnen ihr Brautdirndl bei Angermaier gekauft. Immer öfter wird in Tracht geheiratet, so gibt es das sonst farbenfrohe Gewand auch in weiß. Angermaier hat bereits Geschäfte jenseits Bayerns, in Stuttgart und neuerdings in Berlin. In der Hauptstadt gibt es längst auch ein Oktoberfest – wie die Tracht ist die Wiesn ein Exportschlager, 2000 Kopien gibt es weltweit.

Gelegentlich allerdings löst die Tracht Staunen aus. In Indien wunderten sich Gäste beim ersten Oktoberfest in der High-Tech-Metropole Bangalore über das Outfit der Blaskapelle. Die Zeitung „The Times of India“ erklärte ihren Lesern: Die Kleidung der „Reisbacher Musikanten“ sei nicht dreckig, sondern müsse so aussehen. „Man nennt es Lederhose und wenn es ölig ist, ist es ein Original.“

Die Lufthansa präsentiert zur Wiesn-Zeit traditionell eine Trachtencrew. Firmenvorstände erscheinen in Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen. Ex-Wiesnchefin Gabriele Weishäupl, die mehr als 25 Jahre als „Botschafterin der Stadt“ unterwegs war, kam anfangs im Kostüm. „Ich habe aber sehr schnell festgestellt, dass es viel mehr Furore macht, wenn ich im Dirndl komme.“ In den USA, in Afrika und Asien war sie nun nur noch „President of the Octoberfest“.

„Ich glaube dass die Tracht generell auch ein wahnsinniges Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt“, sagt Nina Munz. „Es vermittelt ein positives gemütliches Lebensgefühl.“ Ging die Jugend noch vor einigen Jahren in Jeans und T-Shirt auf die Wiesn, kommen selbst Teenager heute im Dirndl herausgeputzt daher - gerne in knalligen Farben und Mini.

„Ganz kurze Dirndl, die unter dem Po enden, haben nichts mit dem Dirndl zu tun“, sagt Munz. Auch junge Frauen griffen wieder zu längeren Kleidern bis zur Wade, die Farben des Jahres sind Blau und Grün, kombiniert mit kräftigen Farben. Bei den Männern liegen kurze Lederhosen im Trend, die in Oberbayern Tradition haben. „Es geht zum Klassischen.“

Zur Wiesn-Eröffnung ohne Dirndl – das ist ein kleiner Skandal. Die damalige Ministerpräsidentengattin Marga Beckstein sorgte 2008 für Schlagzeilen: Die First Lady aus Franken erschien zum Anstich in einer pastellfarbenen Trachtenjacke mit blumigen Ornamenten und dunklem Rock – und prägte so das Wort „Dirndl-Gate“. Auf ihre Dirndl-Weigerung angesprochen blieb sie einsilbig. Sie habe das Kostüm gewählt, „weil es mir gefallen hat“, gab sie zu Protokoll. Und auf die Frage, warum sie denn kein Dirndl möge: „Einfach so.“