Jeder Zweite möchte mehr über seine Vorfahren wissen. Neue Quellen machen's möglich

Berlin/Hamburg. Barack Obamas Verwandtschaft mütterlicherseits kommt aus Besigheim in der Nähe von Stuttgart. US-Schwimmstar Ryan Lochte holte bei den Olympischen Spielen eigentlich Gold für Deutschland, denn sein Urururgroßvater wurde in Hannover geboren, und die Wurzeln von Monacos Fürstin Charlène liegen im vorpommerschen Zerrenthin.

Woher die Vorfahren stammen, ist für viele Menschen wichtig. Jeder zweite Deutsche würde gern mehr darüber wissen, ergab eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2007. In 44 Prozent aller Familien hat sich bereits jemand mit den eigenen Ahnen befasst, 1981 waren es noch 38 Prozent. Auch gestiegene Mitgliedszahlen bei den entsprechenden Vereinen, Zulauf bei Internetforen und mehr Anfragen bei Archiven belegen das Interesse.

Die Entwicklung kommt nicht von ungefähr: Durch das Internet ist der Zugriff auf Daten, die früher nur mühselig erschlossen werden konnten, leichter möglich. Viele Originalquellen sind inzwischen online abrufbar. Hobbyforscher stellen Daten und Fotos ein, Archive digitalisieren ihren Bestand. "Je mehr jetzt kommt, umso größer ist die Nutzerflut", sagt Andreas Bellersen von der Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte in Frankfurt/Main. Bei seinem Institut gehen bis zu viermal so viel Anfragen ein wie noch vor zehn Jahren - aus der gesamten Welt.

Die Seite Ahnenforschung.net hat 16 000 Mitglieder - Tendenz steigend. "Es gibt einen Boom der Ahnenforschung, der in den vergangenen zehn bis 15 Jahren immer stärker geworden ist", sagte Sascha Ziegler, der das Portal 1998 gegründet hat. Auch bei den Vereinen gibt es Zuwachs, berichtet Ahnenforscher (Genealoge) Markus Weidenbach. "Wir sind eine der wenigen Sparten, in denen Vereine noch wachsen", sagt der mit 2000 anderen Forschern in der Westdeutschen Gemeinschaft für Familienkunde organisierte Genealoge.

Die technische Entwicklung ist nur ein Grund für den Abschied der Genealogie aus dem Nischendasein: Haftete der Ahnenforschung noch bis in die 1980er-Jahre "ein gewisser Geruch aus den 1940er-Jahren" an, hat sich dies seit der Wende geändert. "Wir haben uns einfach frei gemacht, die zeitliche Distanz war da. Was ich mache und was 99,9 Prozent der Familienforscher machen, hat nichts mit arischen Nachweisen zu tun", sagt Markus Weidenbach.

Genealogen erforschen Familiengeschichte, schreiben Familien- oder Firmenchroniken, fertigen Stammbäume an. 30 000 organisierte Familienforscher gibt es in Deutschland - und etliche Zehntausend "die das im stillen Kämmerlein machen", sagt Weidenbach. "Suchen, finden, Dinge aufklären - diese Detektivarbeit ist ein eine Art Kitzel und ein starker Reiz geworden." Auch die zunehmende Präsenz des Themas in den Medien hat das Interesse an der Suche nach den Vorfahren beschleunigt: Namensforscher Jürgen Udolph deutete im Radio Familiennamen, im ZDF befassten sich die Schauspieler Mariele Millowitsch und Walter Sittler mit ihren Stammbäumen.

Weidenbach unterstützt für den WDR Prominente bei der Suche nach ihren Wurzeln in der Doku-Reihe "Vorfahren gesucht". Mit Sänger Joey Kelly fuhr er nach Pennsylvania zu den Amischen, mit BAP-Sänger Wolfgang Niedecken zur Burg Nideggen in der Eifel. Ob prominent oder nicht - etwas zu entdecken gibt es immer: "Die große Geschichte geht an keiner Familie vorbei. Jeder hat in seinem Stammbaum eine aufregende Nummer drin, wo es für fünf Minuten so richtig brennt", sagt Weidenbach. So fand er heraus, dass Niedecken eine Ahnin hat, die als Hexe auf dem Scheiterhaufen landete. Selbst ein berühmter Cousin ihres Mannes, der den Rechtsgrundsatz "In dubio pro reo - Im Zweifel für den Angeklagten" geprägt hat, konnte ihr nicht helfen.

Mithilfe der Familienforschung machen sich Menschen heute vor allem ein Bild von ihren Vorfahren: "Die Leute möchten nicht wissen, ob die Oma am 14. oder 15. geboren ist, sondern was das für ein Mensch war", sagt Weidenbach. Bei der Suche nach den Vorfahren geht es auch um Gerüchte, Krankheiten, Aufarbeitung der Rolle der Väter in der NS-Zeit. Wer wirklich die Geschichte seiner Ahnen ergründen will, kommt trotz Internet an klassischen Recherchewegen nicht vorbei - etwa an Besuchen in Standesämtern und Kellerarchiven. Zu entdecken gibt es noch viel: "99 Prozent der Archivbestände sind nicht erschlossen", sagt Weidenbach.

Literatur und Webseiten www.abendblatt.de/ahnenforschung