Ganz Baden-Württemberg gedachte heute der Opfer des Amoklaufs von Winnenden.

Winnenden. Ganz Baden-Württemberg gedachte heute der Opfer des Amoklaufs von Winnenden: Hunderttausende Menschen in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen wie Rathäusern, Schulen und Polizeirevieren hielten inne. Straßenbahnen und Busse blieben in mehreren Städten stehen, Radiosender unterbrachen ihr Programm. Auch die Politiker im Stuttgarter Landtag schlossen sich dem stillen Gedenken an, von ihren Sitzen erhoben und ganz in schwarz gekleidet. In Berlin befasste sich der Bundestag mit den Konsequenzen des Amoklaufs.

Vor der Albertville-Realschule versammelten sich 200 Menschen. Der Autobauer Daimler stoppte die Produktion in Stuttgart, Sindelfingen und Rastatt für eine Minute. Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof und verschiedene Amtsgerichte hielten ebenso wie die Mitarbeiter des Energieversorgers MVV ebenfalls inne.

Auch die Abgeordneten im Bundestag gedachten der Opfer. "Der Deutsche Bundestag trauert mit den Angehörigen der Opfer, ihren Familien, Freunden und allen, die ihnen nahe standen. Wir drücken unser tief empfundenes Mitgefühl und unser Beileid aus", so die Vizepräsidentin des Bundestags, Susanne Kastner (SPD). Die Politiker befassten sich in der Aktuellen Stunde hauptsächlich mit der Frage, wie man Heranwachsende in ihrer Persönlichkeit so festigen könne, dass sich solche Taten nicht wiederholen.

Für eine Sperrung von Gewalt-Seiten im Internet sprach sich Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) faus. "Nach einem solchen Massaker erwartet die Öffentlichkeit zu Recht, dass wir Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes und der Sicherheit ergreifen", sagte Schavan dem Hamburger Abendblatt. "Deshalb muss man auch prüfen, wie Gewalt befördernde Elemente im Internet eingedämmt oder blockiert werden können. Solche Vorschläge dürfen nicht einfach mit dem Hinweis auf Freiheit abgewiegelt werden." Damit geht Schavan über die Forderung von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hinaus, die die Sperrung kinderpornographischer Seiten im Internet anstrebt. Schavan appellierte auch an Eltern, nicht tatenlos zuzusehen, wenn sich ihre Kinder "stundenlang am PC mit sogenannten Killerspielen beschäftigen". Außerdem stellte sie sich hinter den Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), "unangemeldete Kontrollen zur Waffenaufbewahrung einzuführen". Sicherheit gehe vor, betonte die Ministerin. "Wer all dies einfach nur ablehnt, erweckt den Eindruck der Hilflosigkeit gegenüber einem berechtigten Schutzanspruch."

Die Kaufhauskette Galeria Kaufhof will "in gesellschaftspolitischer Hinsicht ein Zeichen setzen" und nimmt Computer- und Videospiele sowie Filme aus dem Sortiment, die keine Jugendfreihabe haben. Der Kriminologe Christian Pfeiffer ging noch einen Schritt weiter und forderte alle Eltern auf, Computer, Videospielekonsolen und Fernseher aus dem Kinderzimmer zu verbannen. Früher und intensiver Konsum von Gewaltspielen führe zu einer erhöhten Gewalttätigkeit.

Laut einer Forsa-Umfrage unterstützen 59 Prozent der Deutschen den Vorstoß von Kanzlerin Merkel, Waffen und Munition in Privathaushalten verbieten zu wollen.

Bewegung soll auch in es auch in der Diskussion um Internet-Chatrooms geben, wenn es nach dem Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) geht. Der fordert einen "110-Button", der wie ein Notfallknopf im Fahrstuhl funktionieren und bei Hinweisen auf eine Straftat bedient werden soll.

Indes bestätigte die Polizei, in Winnenden zuerst einen unschuldigen Jungen festgenommen zu haben. Der 18-Jährige habe sich in der Nähe der Schule aufgehalten und die Beamten durch seine dunkle Kleidung auf sich aufmerksam gemacht.

Unterdessen hatte die Familie des Täters Tim K. (17) ihr Schweigen gebrochen sechs Tage nach dem Amoklauf. Es sind ergreifende, aber auch verzweifelte Worte von Eltern, die nicht nur ihren Sohn verloren haben, sondern auch mit der Tatsache umgehen müssen, dass dieser 15 Menschen getötet hat. Winnenden ist zu einem Ort der Trauer und des Abschieds geworden: Ein Meer aus Kerzen und Blumen vor der Albertville-Realschule, dem Ort der Tragödie, erinnert an den schwarzen Tag.

Inzwischen sind die ersten Opfer beigesetzt worden. Am Wochenende begann der Trauerzug für eine 16 Jahre alte Schülerin, gestern wurden drei weitere Mädchen und zwei Lehrerinnen zu Grabe getragen. Der Gang für die Angehörigen der Referendarin für evangelische Religion, Deutsch und Kunst, Nina M., ist besonders schwer. Sie wäre am Tag ihrer Beerdigung 25 Jahre alt geworden. Volker Stetter, Konrektor der Albertville-Realschule, sagte: "Wie sie als Lehrerin aufblüht, können wir nicht mehr erleben. Ich bin überzeugt, dass sie eine gute Lehrerin geworden wäre." Genau wie ihre Kollegin war auch die Mathematik- und Physiklehrerin Michaela K. (26) in die Schusslinie des 17-Jährigen geraten. Auch sie wurde beerdigt. Ihr Mann war als Polizist beim Amoklauf von Winnenden im Einsatz. Das Paar war erst seit vier Wochen verheiratet. Gestern musste er seiner Frau das letzte Geleit geben.

Die zentrale Trauerfeier wird am Sonnabend in der katholischen Karl-Borromäus-Kirche stattfinden. Dazu werden 100.000 Menschen erwartet. Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) haben ihr Kommen zugesagt. Danach wollen Merkel und Köhler die Angehörigen der 16 Opfer Treffen. Und obwohl täglich viele Betroffene in Winnenden anreisen, um ihr Beileid zu bekunden, ist es im Ort still. Es ist eine letzte Ehre für die Opfer, deren Leben zu schnell endete.