Geiselnehmer erschoss in Karlsruhe vier Menschen, darunter den Gerichtsvollzieher. Anschließend richtete er sich selbst

Karlsruhe. "Es war eine regelrechte Hinrichtung", sagte Staatsanwalt Gunter Spitz. Bei einem Geiseldrama in Karlsruhe hat gestern ein schwer bewaffneter Mann vier Menschen erschossen. Die Lage eskalierte am Morgen, als die Wohnung des 53-Jährigen am Kanalweg 115 zwangsgeräumt werden sollte. Der Mann, der die Tat geplant haben soll, bedrohte den Gerichtsvollzieher, 47, einen Sozialarbeiter, einen Schlosser, 33, und den neuen Wohnungseigentümer mit einer Pistole und nahm sie als Geiseln. Später ließ er den Sozialarbeiter aus bisher unbekannten Gründen frei und erschoss die übrigen Geiseln und sich selbst.

Als SEK-Beamte die Wohnung in dem Mehrfamilienhaus im ehemaligen Amerikaner-Viertel der Nordstadt stürmten, entdeckten sie zunächst im Schlafzimmer die Lebensgefährtin des Täters und Besitzerin der Wohnung mit einer tödlichen Schusswunde in der Brust. Die Dreizimmerwohnung, in der der Täter mit seiner Freundin wohnte, war im April zwangsversteigert worden, weil die Frau mit Zahlungen im Rückstand war.

Die Polizei war mit rund 200 Beamten vor Ort und hatte den Tatort in dem Wohngebiet mit zwei Schulen und Kindergärten weiträumig abgesperrt. Mehrere Häuserblocks wurden evakuiert. Anwohner durften sicherheitshalber nicht in ihre Häuser.

Der Täter ist ein Arbeitsloser aus dem Raum Karlsruhe, der zeitweise auch im Elsass gelebt hat. Er hatte keine Erlaubnis zum Waffenbesitz. Dennoch fanden die Ermittler in der Wohnung ein ganzes Waffenarsenal - eine Schrotflinte, ein Gewehr, zwei Pistolen, eine täuschend echt aussehende Übungshandgranate sowie reichlich Munition. Damit hätte er sich ein "extremes Feuergefecht" mit der Polizei liefern können, sagte Kriminaldirektor Thomas Rüttler. Woher der Täter die Waffen hatte, wissen die Ermittler noch nicht - vermutlich aus illegalen Quellen.

Die Opfer des Mannes hinterlassen teils kleine Kinder: Der Gerichtsvollzieher war ebenso Familienvater wie der Schlosser türkischer Abstammung, der eine schwangere Frau und kleine Kinder zurücklässt. Der neue Wohnungsbesitzer kam ebenfalls aus Karlsruhe.

Die Polizei erfuhr von der Geiselnahme durch den Notruf des Sozialarbeiters um 8.55 Uhr. Er schilderte den Beamten die Lage: Wegen des Räumtermins habe er gemeinsam mit dem Gerichtsvollzieher und dem Schlosser um 8 Uhr an der Wohnung im Kanalweg in der Karlsruher Nordstadt geklingelt. Der Täter bat sie zunächst ins Wohnzimmer, wenig später kam auch noch der neue Wohnungsbesitzer dazu. Plötzlich habe der Arbeitslose sie mit der Pistole bedroht und sei auch direkt aggressiv geworden: Als der Gerichtsvollzieher sich auf Aufforderung des Täters nicht sofort setzen wollte, schoss er ihm zweimal in den Oberschenkel. Dann musste der Schlosser seinen Mitgefangenen mit Kabelbindern die Hände fesseln. Als der Täter auch den Schlosser fesseln wollte, habe dieser versucht ihm die Waffe zu entreißen. Der Täter feuerte daraufhin vier bis fünf Schüsse, traf den Schlosser an Kopf und Brust mehrfach und verletzte ihn schwer. Dann habe er die Geiseln 40 bis 45 Minuten auf dem Sofa sitzen lassen und sei währenddessen immer wieder in die Küche gegangen, um Bier und Zigaretten zu holen. Schließlich habe er den Sozialarbeiter weggeschickt, der auf dem Weg hinaus fünf weitere Schüsse gehört habe.

Als das SEK um 11.48 Uhr die Wohnung stürmte, fanden die Polizisten zwei der Geiseln tot mit Kopfschüssen und gefesselt auf dem Sofa sitzend. Der Schlosser war ebenfalls tot - er lag vor der Couch. Der Täter hatte sich im Schlafzimmer mit der Schrotflinte in den Kopf geschossen.

Die Karlsruher Staatsanwaltschaft rechtfertigte das Vorgehen bei der Zwangsräumung. "Mit einer derartigen Eskalation war nicht zu rechnen", sagte Gunter Spitz. Es habe keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Aggressivität des Arbeitslosen gegeben. Der Täter sei in der Vergangenheit nie wegen Gewaltdelikten in Erscheinung getreten. Der Mann habe Geiselnahme und Morde offenbar geplant, dafür sprächen die bereits vorbereiteten Waffen und das Fesselwerkzeug. Spitz sprach von einer sehr atypischen und für die Polizei sehr schwer zu bewältigenden Lage. "Es gab hier bei diesem schrecklichen, tragischen Verlauf für die Polizei trotz aller Bemühungen nichts zu verhindern und nichts zu retten."

Die SEK-Beamten entschlossen sich trotz erheblicher Gefahren für das eigene Leben zum schnellstmöglichen Zugriff. Eine Kontaktaufnahme mit dem Täter über Handy oder das Festnetztelefon war gescheitert, weil niemand abgenommen habe. Als die Polizisten Brandgeruch wahrgenommen hätten, hätten sie die Wohnung sofort gestürmt, dort aber nur noch Leichen vorgefunden. Vor seinem Selbstmord habe der Täter wohl noch den Teppich im Wohnzimmer angezündet.

Polizeipräsidentin Hildegard Gerecke sprach den Hinterbliebenen der Opfer, die von Notfallseelsorgern betreut werden, ihr Mitgefühl aus. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Justizminister Rainer Stickelberger zeigten sich schockiert. "Die schreckliche Tat hat mich zutiefst erschüttert", sagte Kretschmann. In Gedanken sei er bei den Opfern. "Mein tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Ganz Baden-Württemberg trauert mit ihnen."