Der Ex-Außenminister rennt gegen überflüssige Pfunde an - wie schon 1996. Seine vier Grundsätze haben ihn vor dem Jo-Jo-Effekt nicht bewahrt.

Berlin. Joschka Fischer hat wieder mit dem Laufen angefangen. Der Ex-Außenminister und Grünen-Politiker verkündete diese Woche in Passau, dass er in der Woche "so auf 50 bis 60 Kilometer" kommen wolle, "bei bis zu zehn, elf Kilometern am Tag". Viele laufen. Auch viele Politiker laufen. Aber wenn Fischer das Wort Laufen in den Mund nimmt, dann ist ihm öffentliches Interesse gewiss.

Fischer hatte es schon einmal versucht. Das war 1996, und damals hatte es mit Stress zu tun, mit Übergewicht und Beziehungsproblemen. Das Laufen führte dazu, dass er alles gleichzeitig in den Griff bekam. Er nahm in einem Jahr 40 Kilogramm ab. Er wurde 1999 von seiner dritten Ehefrau, Claudia Bohm, geschieden, heiratete im selben Jahr die Journalistin Nicola Leske und stellte fest, dass regelmäßiger Sport auch gegen Dauerstress als Politprominenter resistenter macht.

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1998 wurde Fischer Außenminister. Da war er schon so schlank und fit, dass er für viele übergewichtige Manager zum Vorbild wurde. 1999 erschien sein Bestseller "Mein langer Lauf zu mir selbst". Fischer hat darin sehr anschaulich beschrieben, wie schwer es ist, den ersten Schritt zu tun. Seinen ersten Lauf machte er heimlich. Das war 1996, und er versteckte sich in einem Kapuzensweatshirt, damit ihn niemand beobachten und verraten konnte. Es gab bei Fischer 1996 einen einzigen Moment der Entscheidung. Er beschreibt ihn so: "Ich traf diese ... Entscheidung in jener einen Sekunde, an die ich mich noch sehr genau erinnern kann, denn in derselben Sekunde wusste ich auch, dass ich zu meiner alten körperlichen Verfassung, zu meinem idealen 'Kampfgewicht' des Jahres 1985 zurückwollte, als ich noch nicht fett, schwer und kurzatmig war." Er hielt sechs Jahre lang durch.

Doch 2002 merkte er, dass selbst Dauerlaufen nicht so viel Stress abbauen kann, wie er ihn als Außenminister hatte. Er stellte den Laufsport ein. Ob es wiederum ein Schlüsselerlebnis gab, ist nicht bekannt. Aber wieder stellte ihm das Leben Weichen: Wieder war eine Beziehung gescheitert. Fischer ließ sich 2003 zum vierten Mal scheiden und heiratete 2005 Minu Barati. Er zog mit seiner fünften Ehefrau in den Stadtteil Grunewald in Berlin und verlor im selben Jahr sein Amt als Außenminister. Und etwa in jener Zeit nahm er wieder zu. Jedes Jahr ein paar Kilo. Bis er wieder so dick war wie vor 1996, als er 112 Kilo gewogen hatte. Bei einer Körpergröße von 1,81 Metern.

Was in der Zwischenzeit mit Fischer geschah, ist in keiner Autobiografie festgehalten worden. Bekannt ist es aber doch. Gemeinhin nennt man das Zunehmen, das nach dem Abnehmen kommt, Jo-Jo-Effekt, der dann eintritt, wenn die Motivation wieder weg ist. Wenn Alltag und Gewöhnung wieder stärker geworden sind als alle guten Vorsätze. In seinem Buch schrieb Fischer nichts über diesen Effekt. Jo-Jo bedeutet, dass man aufhört, stark zu sein. Fischer hatte aufgehört. Mit dem Alkohol, mit dem Fleisch, mit dem Fett. Und dann, offensichtlich, wieder angefangen. Mit dem Alkohol, mit dem Fleisch, mit dem Fett. Aus wissenschaftlicher Sicht hat Fischer sich fehlernährt. Wer den Jo-Jo-Effekt vermeiden will, der muss mager essen, eiweißreich und salzig. Süßes und Fettes müssen gemieden werden. Und zwar nachhaltig. Auch wenn Fischer nichts über den Jo-Jo-Effekt schrieb, so war er ihm doch sehr gut bekannt. In einem Interview 1997 ist nachzulesen: "Der Jo-Jo-Effekt, das ist so ziemlich das Schlimmste, was man erleben kann, weil das immer wieder stattfindende Scheitern zu unheimlich negativen Rückkopplungen führt. Es eskaliert zur Fresssucht, eine Form der Selbstzerstörung. Ich habe mein Leben geändert, ein neues Programm geschrieben und das alte weggeworfen."

Vielleicht war Fischer damals ein wenig zu motiviert. Er hatte vier Grundsätze (Belüge dich niemals selbst, meide deine Leistungsspitze, gib niemals auf und unterschreite niemals eine einmal erreichte Entfernung) und vier Tugenden (Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Realismus und Geduld).

All diese Vorsätze haben Fischer nicht vor dem Rückfall bewahrt. Sie konnten ihm nicht die Kraft zur Kontinuität geben. Fischer ist jetzt 63 Jahre alt. 2005 wurde er zum ersten Mal Großvater. Er hat sich aus der Politik zurückgezogen. Er ist verheiratet. Woher Fischer wohl diesmal die Motivation nimmt?