Krefeld. Am Ende war noch einmal so etwas wie Anspannung im Gesicht von Mircos Eltern zu lesen. Vielleicht Angst, ob die Richter des Landgerichts Krefeld tatsächlich dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgen würden und dem Mörder ihres Sohnes die besondere Schwere der Schuld zuerkennen, also mindestens 20 bis 25 Jahre Gefängnis. Vielleicht aber auch Angst vor dem, was nun kommt, vor dem nicht enden wollenden Albtraum, der am 3. September 2010 begann.

In diesem Jahr ohne Mirco, den Jungen, "der uns immer zum Lachen brachte", wie die Mutter ihren Sohn einmal beschrieb, der Junge, dessen Foto wochenlang überlebensgroß an den Straßen der Region gehangen hatte, nach dem Polizei und Bundeswehr in der größten Aktion in der Geschichte der Bundesrepublik gesucht hatten. Vielleicht war es auch die Angst vor dem Nichts, vor der Leere nach dem Prozess.

Olaf H., 45, muss also lebenslang ins Gefängnis, seine Schuld ist besonders schwer, wie das Gericht um den Vorsitzenden Richter Herbert Luczak gestern feststellte, was eine Entlassung nach 15 Jahren ausschließt. Lebenslang ist die schwerste Strafe in Deutschland, Mörder werden mit lebenslanger Haft bestraft, eine besondere Schwere der Schuld besteht, wenn der Mord zudem noch besonders brutal und grausam war, wenn dem Opfer große Qualen zugefügt wurden. Olaf H. hat die höchste Strafe erhalten, die möglich war. Sicherungsverwahrung kam für ihn nicht in Betracht, da er nicht vorbestraft ist.

Der Angeklagte nahm das Urteil zur Kenntnis, es gab kein Aufbäumen, keine emotionale Regung. Wie während des gesamten Prozesses schien er mit sich und der Welt abgeschlossen zu haben. Umso verwunderlicher schien die Reaktion seines Anwalts Gerhard Meister, der ankündigte, in Revision gehen zu wollen. Sein Mandant empfinde "tief verwurzelte Reue und völliges Unverständnis" gegenüber seiner Tat, sagte er. Zu den Chancen für ein Revisionsverfahren wollte der Verteidiger sich nicht äußern. Im konkreten Fall habe das Gericht die besondere Schwere der Schuld allerdings "sehr gut begründet".

In der Woche vor der Urteilsverkündung hatte Meister noch gesagt, er verstehe seinen Mandanten nicht, der sich widersprach, der leugnete, dann wieder gestand, aber keine Erklärung hatte. Ja, man konnte ihm glauben, dass es ihm leidtut, wie er in seinem Schlusswort über seinen Anwalt mitteilen ließ. Ihm ist auch zu glauben, dass er sich selbst nicht verstehe. Ändern tut das alles nichts. "Ich erwarte keine Vergebung", ließ H. mitteilen.

Sein Prozess war von Anfang an darauf aus, hinter das Motiv zu kommen. Warum hat der dreifache Familienvater den Jungen sexuell missbraucht und getötet? Da er selbst sich nicht äußerte, unternahm das Gericht mehrere Versuche, sich darüber ohne ihn Klarheit zu verschaffen. Der untauglichste und deshalb auch traurigste Versuch war wohl die Vorladung der Ex-Frauen von H., die ihn unisono als "prima Kerl", "super Papa", als "ruhig, ausgeglichen und hilfsbereit" beschrieben, denen anzumerken war, wie unwirklich ihnen diese Tat immer noch vorkommt.

Die Frau, mit der H. zur Zeit der Tat ein Einfamilienhaus in einem Neubaugebiet bewohnte, konnte sich gut an den 3. September 2010 erinnern. "Nichts, nichts, nichts" habe sie gemerkt, betroffen sei er gewesen, wie man sei als Vater einer zweijährigen Tochter, wenn in der Nachbarschaft ein Kind verschwinde, sagte sie. Auch in den Wochen nach der Tat, in denen die Polizei ihre Fahndung ausweitete, nach dem dunklen Kombi suchte, den Zeugen beobachtet hatten, sei Olaf H. wie immer gewesen.

Am ehesten hat wohl das Gutachten des sachverständigen Psychiaters Martin Abrecht Erklärungen geliefert. Zwar konnte auch der nicht mit Sicherheit sagen, warum Olaf H. Mirco getötet hatte, aber er lieferte immerhin eine Möglichkeit, die er wissenschaftlich basiert für wahrscheinlich hielt. So soll der hoch intelligente Manager (IQ 139) ein "sozial handelnder, aber pervers fantasierender Mensch" sein. Oft seien Traumata in der Kindheit dafür verantwortlich, sagte Albrecht, die abgekapselt vom eigentlichen Menschen ein Eigenleben als Gewaltfantasie führten. Der Psychiater erklärte H. aber für voll schuldfähig. Wie ein Jäger auf Beutezug habe er sich verhalten, kalkuliert und vorbereitet. Eine Auffassung, die das Landgericht teilte, zumal es nicht gelten ließ, dass beruflicher Stress Grund für den Mord gewesen sei.

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