Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben sich zu Beginn des neuen Prozesses um den Einsturz der Eislaufhalle einen Schlagabtausch geliefert.

Traunstein. Mit scharfen Angriffen auf die Anklagebehörde hat der neue Prozess um die Schuldfrage beim verheerenden Einsturz der Eissporthalle von Bad Reichenhall begonnen. Seit Donnerstag muss sich vor dem Landgericht Traunstein ein Bauingenieur zum zweiten Mal verantworten, der dem Gebäude drei Jahre vor dem Unglück einen einwandfreien Zustand bescheinigt hatte. Die Verteidiger des mittlerweile einzigen Angeklagten warfen der Staatsanwaltschaft vor, nach der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils neue Ermittlungen gegen Verantwortliche der Stadt Bad Reichenhall versäumt zu haben.

Am 2. Januar 2006 waren beim Einsturz der Eislaufhalle zwölf Kinder und Jugendliche sowie drei Mütter von herabstürzenden Trümmern erschlagen worden. Dem heute 58-jährigen Bauingenieur wird vorgeworfen, durch sein Gutachten den Tod der 15 Menschen mitverschuldet zu haben.

Im November 2008 hatte das Traunsteiner Gericht den Konstrukteur des Hallendaches wegen fahrlässiger Tötung zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Den mitangeklagten Gutachter und einen Architekten sprach es frei. Doch Anfang 2010 kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) den Freispruch für den Gutachter und verwies den Fall zur Neuverhandlung an eine andere Kammer desselben Gerichts zurück. Die BGH-Richter monierten, der Bauingenieur habe das Hallendach nicht sorgfältig genug untersucht. Er habe für nur rund 3000 Euro und somit zu einem Bruchteil der sonst üblichen Summe ein „Gefälligkeitsgutachten“ angefertigt.

Der Verteidiger des Angeklagten, Rolf Krüger, sprach in einer Erklärung noch vor der neuerlichen Vernehmung des Angeklagten von Pseudovorermittlungen der Anklagebehörde. Die Staatsanwaltschaft habe mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass auch Bedienstete der Stadt als Halleneigentümerin strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Inzwischen können sie wegen Verjährung nicht mehr angeklagt werden. „Ich habe kein Vertrauen in eine objektive Verhandlungsführung der Staatsanwaltschaft“, sagte Krüger.

Robert Schromm, der bei dem Unglück seine Ehefrau verlor, ging als einer von mehreren Nebenklägern einen Schritt weiter. Der verwitwete Familienvater kündigte im Gerichtssaal eine Strafanzeige gegen Chefankläger Günther Hammerdinger wegen Strafvereitelung an. „Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat einen waschechten Justizskandal produziert“, sagte Schromm. Die wahren Verantwortlichen für die tödliche Katastrophe säßen im Rathaus, hätten in der Anklagebehörde aber eine „mächtige Lobby“ gefunden.

Die Verteidigung beantragte für das Verfahren einen anderen Staatsanwalt, da Hammerdinger durch die Strafanzeige nicht zu objektiven Verhandlungen in der Lage sei. Dies lehnte Hammerdingers Vorgesetzter, der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Vordermayer, jedoch ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Chefanklägers in dem Verfahren, ließ er den Vorsitzenden Richter nach längerer Beratung zur Begründung mitteilen.

Hammerdinger verteidigte sein Verhalten damit, dass neue Vorermittlungen keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten von Stadtbediensteten ergeben und somit auch Ermittlungsverfahren keinen Sinn gemacht hätten. Er machte Schromm darauf aufmerksam, dass dieser als Nebenkläger eigentlich die Staatsanwaltschaft unterstützen müsse. Stattdessen plädiere er schon zu Prozessbeginn für einen Freispruch des Angeklagten. Tatsächlich hatte Schromm den Gutachter als „grausames Bauernopfer“ der Staatsanwaltschaft bezeichnet.

Der neuerliche Prozess hatte am Morgen mit der Verlesung des erstinstanzlichen Urteils und des Revisionsurteils beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe begonnen. Danach trug Staatsanwalt Andreas Miller erneut die Anklagepunkte gegen den Gutachter vor. Als er - wie schon zuvor der Vorsitzende Richter Jürgen Zenkel - die Namen der 15 Todesopfer verlas, wurde es totenstill im Sitzungssaal. Manche der Hinterbliebenen konnten die Trauer auch bald sechs Jahre nach der Katastrophe nicht verbergen.

Auch im neuen Prozess sind die Verantwortlichen von damals im Reichenhaller Rathaus, allen voran Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier und die frühere Stadtbaudirektorin, als Zeugen geladen. Der einzige Angeklagte der Stadtverwaltung, der mittlerweile 75-jährige einstige Leiter des Hochbauamtes, ist wegen einer Krankheit nicht verhandlungsfähig. Es sind zehn Verhandlungstage angesetzt. 15 Zeugen und 5 Sachverständige sollen vernommen werden. Der Urteilsspruch ist für den 27. Oktober geplant.