Der Fund von 15 bislang unbekannten Briefen entzaubert die Liebesgeschichte zwischen Wallis Simpson und Eduard VIII.

London. Es war das erregendste und das längste Liebesdrama des 20. Jahrhunderts - mehr als fünf Jahrzehnte hindurch sorgte das Herzogspaar von Windsor für Schlagzeilen. Wahrscheinlich gibt es niemanden in England, der noch nie die knisternde Aufzeichnung der 75 Jahre alten Rundfunkansprache gehört hat, in welcher der spätere Herzog seine Abdankung bekannt gab, weil es ihm unmöglich sei, "die schwere Bürde als König ohne die Hilfe und Unterstützung der Frau zu tragen, die ich liebe". Die Frau, die Eduard VIII. so vergötterte, dass er ihr neben dem britischen Thron und der indischen Kaiserkrone sogar die Heimat opferte, war Wallis Simpson. Die Briten hielten diese Frau für moralisch ungeeignet. Sie stammte nicht nur aus kleinen Verhältnissen, war Amerikanerin, die nach einer Blitzehe mit Earl Winfield Spencer den Spross einer jüdisch-orthodoxen Schiffskaufleutedynastie aus Hamburg, Ernest Simpson, geheiratet hatte. 25 Jahre nach ihrem Tod wirft ein sensationeller Brieffund die Frage auf, ob Wallis die Liebe des Königs überhaupt erwiderte oder ob ihr Herz nicht auch nach der Scheidung weiterhin ihrem geschiedenen Mann gehörte.

Simpson, groß, blond, mit blauen Augen, englischem Schnurrbart und britischem Pass, war 1895 in New York als Sohn eines Mitgründers der heute weltgrößten unabhängigen Schiffsmaklerei, Simpson Spence Young, zur Welt gekommen. Der Vater hieß Solomon; er "anglisierte" den Namen bei der Übersiedlung in die USA. Auch Ernest hatte bei seiner Heirat 1928 eine Scheidung hinter sich. Die kinderlose Ehe war glücklich. Wallis schilderte ihren Mann als gut aussehend, liebevoll und "engelhaft". Er bot ihr die Chance, eine gesicherte Existenz in England zu bekommen. Dann aber stellte eine Freundin Wallis Simpson 1931 in London dem Thronfolger vor. Eduard, mit 37 Jahren noch Junggeselle, war sofort fasziniert von der zwar nicht schönen, aber spritzigen und respektlosen Wallis. "Er hielt sie für Helena" (schönste Frau des griechischen Altertums), erinnert sich ein britischer Adliger. "Dabei hatte sie ein Gesicht wie ein alter Stiefel." Nach drei Jahren wurde aus der Bekanntschaft eine Affäre - mit Duldung von Ernest Simpson, der gesellschaftlich und geschäftlich vom Prinzen profitierte.

Ebenso wie Ernest "rechnete Wallis damit, als Mätresse den Laufpass zu bekommen", erklärt Anne Sebba, die Verfasserin der soeben erschienenen Biografie "That Woman: The Life of Wallis Simpson, Duchess of Windsor". Es kam freilich anders: Statt zu verglühen, entflammte Eduards Leidenschaft immer stärker. Als Georg V. am 20. Januar 1936 unerwartet starb und er als Erstgeborener auf den Thron nachrückte, war Eduard wild entschlossen, Wallis zur Queen zu machen. Auf Ernests direkte Frage erwiderte der neue, wegen des Trauerjahres noch ungekrönte Monarch: "Denkst du wirklich, ich würde mich krönen lassen ohne Wallis an meiner Seite?" Noch am selben Abend gab Simpson sein Einverständnis zur Scheidung von Wallis - ein Opfer, für das er einen Ehebruch begehen und sich dabei erwischen lassen musste.

So hatte sich Wallis die Zukunft weder vorgestellt noch gewünscht. Verzweifelt griff sie zur Feder: "Ich bin sicher", schrieb sie an den Geliebten, "gemeinsam würden wir, Du und ich, nur eine Katastrophe heraufbeschwören. Ich bin überzeugt, ich kann Dich nicht glücklich machen, und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Du mich glücklich machen kannst. Goodbye." Eduards Reaktion: Er werde sich die Kehle aufschlitzen, falls sie ihn verlasse.

Der erste der 15 bislang unbekannten Briefe von Wallis an Ernest, die Anne Sebba ausgegraben hat, trägt das Datum 25. Oktober 1936. Zwei Tage vor dem ersten Scheidungstermin klagt sie ihrem Noch-Gatten: "Ich bin so einsam." Kurz darauf: "Ich vermisse Dich." Nach der Scheidung schreibt sie ihm: "Ich kann einfach nicht fassen, dass zwei Menschen, die so gut zusammen waren, so etwas widerfahren kann." Am 30. November weiht sie ihn in einen Fluchtplan ein: "Ich habe mich entschlossen, bis nach der Krönung zu verreisen oder vielleicht für immer." Eduard werde sie vorlügen, zum Hutkauf nach Paris zu fahren. Sogar am 11. Dezember, dem Tag von Eduards Abdankung, und nach der Hochzeit im Exil schreibt sie an Ernest: "Ich denke so viel an uns." Der letzte Brief ist in Berlin abgestempelt. Vom Deutschlandbesuch im Oktober 1937, zu dem Adolf Hitler eingeladen hatte, versicherte Wallis ihrem Ex-Mann: "Wo Du auch bist, Du kannst immer gewiss sein, dass kein Tag vergeht, ohne dass ich mehrere Stunden an Dich denke und Dich auch in mein Abendgebet einschließe."

Für Anne Sebba ist die Bedeutung der Briefe dramatisch: "Sie zeigen erstmals, dass die Geschichte von Wallis und Eduard weit davon entfernt war, die romantischste Lovestory des letzten Jahrhunderts zu sein. In Wirklichkeit war sie ein dunkles Schauermärchen, mit einem faustischen Pakt als Kern." Trotzdem waren der Herzog und die Herzogin 35 Jahre verheiratet - bis zu seinem Tod 1972.