Ein neu entdeckter Tagebucheintrag legt nahe, dass sowjetische Agenten vom KGB den berühmten Autor Albert Camus aus dem Weg räumten.

Agay. Leidenschaftliche Verehrer von Albert Camus haben den Tod ihres Helden bislang gern als Beleg seiner Theorie des Absurden gewertet: Am 4. Januar 1960 starb der erst 46 Jahre alte Autor und Philosoph bei einem Verkehrsunfall. Camus hatte ursprünglich mit dem Zug aus Lourmarin in der Provence nach Paris zurückkehren wollen, in seinem Jackett fand man später das bereits gelöste Billett. Seine Frau und beide Töchter waren bereits per Zug abgereist, Camus wollte einige Tage später nachkommen. Aber sein Freund Michel Gallimard, Neffe eines Verlegers, überredete ihn, in seinen Facel Vega 3 B zu steigen. Der Wagen hatte 355 PS. Augenzeugen berichteten später, er sei mindestens 130 km/h schnell gewesen, als er gegen 13.55 Uhr an der Route Nationale 5 zwischen Sens und Fontainebleau nahe dem Örtchen Champigny sur Yonne von der Straße abkam und gegen eine Platane prallte. Camus war sofort tot. Gallimard erlag seinen Verletzungen sechs Tage später. Seine Frau Janine, die Tochter Anne, am Vorabend 18 Jahre alt geworden, und der Hund Floc hatten auf dem Rücksitz gesessen. Sie überlebten unverletzt.

Die Unfallursache wurde nie vollends geklärt - Gallimard galt als Freund schneller Autos, aber nicht als Raser. Die Gendarmen, welche die Unfallstelle untersuchten, vermuteten Glatteis und einen geplatzten linken Hinterreifen als Ursache. Offiziell bestätigt wurde dies nie. Deshalb dürfte die Unfalltheorie für einige Aufregung sorgen, die nun 51 Jahre nach dem Crash die Runde macht: Hat der sowjetische Geheimdienst KGB den Wagen manipuliert, um mit dem Nobelpreisträger Albert Camus einen der prominentesten Kritiker der UdSSR zu beseitigen?

Diese kühne These hat der italienische Autor Giovanni Catelli nun öffentlich gemacht. Catelli war bei der Lektüre der Tagebücher des tschechischen Autors Jan Zábrana aufgefallen, dass in der italienischen Übersetzung eine Passage fehlt, in der sich Zábrana mit Camus' tödlichem Unfall befasst: Zabrána, der aus einer Dissidentenfamilie stammte und sich vor allem als Übersetzer von Joseph Conrad und Boris Pasternak einen Namen machte, starb 1984 mit 53 Jahren. Er hinterließ mehr als 1100 Seiten Tagebücher, die in seiner Heimat bereits 1992 erschienen. Auf einer Seite schreibt Zábrana: "Ich hörte etwas sehr Seltsames aus dem Munde eines Mannes, der sehr gut informierte Quellen hatte. Ihm zufolge wurde der Unfall, der 1960 Albert Camus das Leben kostete, von sowjetischen Spionen organisiert. Sie beschädigten einen Reifen des Wagens, indem sie ein speziell angefertigtes Gerät benutzten, das bei hohem Tempo in den Reifen schnitt oder ihn durchlöcherte."

Der Befehl für den Anschlag habe der sowjetische Außenminister Dmitri Schepilow höchstpersönlich erteilt, schreibt Zábrana - ein Racheakt für einen Artikel im Magazin "Franc-Tireur", in dem Camus Schepilow 1957 persönlich angegriffen und ihn für die Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 verantwortlich gemacht hatte. Die sowjetische Entscheidung, Panzer nach Budapest zu schicken, um den Volksaufstand niederzuschlagen, hatte Camus als "Schepilow-Massaker" bezeichnet und im Text "Das Blut der Ungarn" verdammt. Ein Jahr später habe Camus die Sowjets erneut erzürnt, als er öffentlich für Boris Pasternak eintrat - wie Camus Nobelpreisträger -, dessen Werke Stalin verboten hatte.

Die italienische Zeitung "Corriere della Sera", die Catellis Entdeckung nun vermeldete, hält die KGB-These schon deshalb für plausibel, weil Camus, anders als etwa sein Kollege Jean-Paul Sartre, nie bereit war, das totalitäre Wesen des Sowjet-Systems und dessen Gulags zu ignorieren. Camus' Biograf Olivier Todd sagte dagegen dem britischen "Observer", er "glaube nicht, dass diese Geschichte stimmt".

Was gegen die KGB-Theorie spricht, die mitten im Ferienmonat August von Italien nach Paris schwappt: Der Facel Vega galt als bildschönes Auto mit erheblichen Macken. Camus' Unfall sorgte für eine Debatte über die mangelnde Sicherheit der Marke, die schwere amerikanische V-8-Motoren unter zu leichte französische Karosserien steckte. 1964 ging die Firma bankrott. Einziger Vorteil des Autos, so schrieb der Autor Jean Rouaud: "Er ging nie in Flammen auf." Deshalb blieb auch das Manuskript von Camus' Roman "Der erste Mensch" erhalten, das der Autor auf seiner letzten Fahrt mit sich führte. Erst 1994 wurde es veröffentlicht.