Im TV spielt er einen DDR-Grenzsoldaten. Im Abendblatt spricht Benno Fürmann über seine persönlichen Mauer- und Grenzerfahrungen.

Hamburg. Die Berliner Mauer lässt ihn nicht los. Als Kind ist Benno Fürmann in ihrem Schatten groß geworden. Im TV-Film "Der Mauerschütze" (heute, 20.15 Uhr im Ersten) spielt der gebürtige Kreuzberger einen DDR-Grenzsoldaten, der einen Flüchtling an der Mauer erschießt und sich 16 Jahre später der Familie des Opfers stellt. Eine gute Gelegenheit, mit dem 39-Jährigen über eigene Mauer-Erlebnisse und Grenzen in seinem Leben zu sprechen. Zum Treffen in einer Berliner Bar erscheint er braun gebrannt aus dem Korfu-Urlaub und macht sich mit Heißhunger über ein Bauernfrühstück her.

Hamburger Abendblatt: Herr Fürmann, vor 50 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Sie sind in Kreuzberg SO 36 aufgewachsen. Erinnern Sie sich noch?

Benno Fürmann: Ja, aber für mich war die Mauer kein politisches Statement. Die hat halt dazugehört. Wenn man Fußball gespielt und den Ball darüber geschossen hat, war der Ball weg.

Hat die Mauer keine Schneise in Ihre eigene Familie geschlagen?

Fürmann: Doch. Meine Großtante Martha wohnte in Berlin-Mitte, auf dem Engeldamm. Einmal haben wir uns telefonisch verabredet und vom Mariannenplatz aus hinübergewunken. Und da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie absurd diese Mauer ist.

Wussten Sie, wie es dahinter aussah?

Fürmann: Ja, wir haben meine Großtante regelmäßig besucht. Für Kinder war das immer aufregend. Einen Besuchsantrag stellen, in der Schlange stehen, Auto filzen lassen. Und dann drüben sein in einer Welt, die nur 400 Meter entfernt ist, die aber trotzdem anders riecht. Wo das Klopapier härter ist und das Knäckebrot ganz anders schmeckt.

In "Der Mauerschütze" spielen Sie einen Arzt, der als junger Grenzsoldat einen Flüchtling erschoss. Hat diese Rolle den Blick auf die Mauer geändert?

Fürmann: Nee, die Gesetzmäßigkeiten, die dahinter stehen, waren mir ja bekannt. Die spannendere Frage für mich war: Wie geht man mit dieser Schuld um? Und ist Sühne nicht ein zutiefst egoistisches Motiv, das dem Opfer gar nichts bringt?

Können Sie denn Empathie für den Mauerschützen, den Täter, aufbringen?

Fürmann: Ja. Schuld ist zwar Schuld und ich persönlich verurteile ganz klar Schüsse auf Flüchtende. Es gibt Befehle und es gibt die eigene Verantwortung. Aber als jemand, der im Westen sozialisiert wurde, darf man es sich mit der Beurteilung nicht zu leicht machen. Die Realität ist komplexer. Die Täter hatten eine andere Sichtweise eingeimpft bekommen. Der Arzt, den ich spiele, geht einen Kompromiss ein und meldet sich freiwillig als Grenzsoldat, um sich das Studium zu ermöglichen. Er macht das, weil er Menschen helfen will. Es kommt zu diesem Schusswechsel, der Arzt soll auf die Beine des Flüchtlings zielen, er nimmt dem Mann aber das Leben. Du kannst so ein Ereignis lange verdrängen. Aber am Ende kannst du dich nicht hinter Gesetzen verstecken, irgendwann klopft die eigene Moral an die Tür.

Der Film lässt die wichtigste Frage offen: Der Schütze bleibt auf freiem Fuß, nur der Vorgesetzte wird zu einer Haftstrafe verurteilt. Kann es für den Mörder Vergebung im moralischen Sinn geben?

Fürmann: Nein. Nach seinem Geständnis bleibt der Arzt im Dorf, in dem die Witwe des Opfers lebte. Alle Nachbarn kennen ihre Geschichte. Der Mörder hat jetzt ein Gesicht. Er wird zwar geächtet. Aber er gehört jetzt wenigstens wieder dazu.

Herr Fürmann, wir kommen nicht darum herum, auch über Verlust zu reden. Sie waren sieben, als Ihre Mutter starb, und 15, als Sie Ihren Vater verloren. Wie hat Sie die frühe Verlusterfahrung geprägt?

Fürmann: Maßgeblich. Je früher man seine Eltern verliert, desto früher ist man gezwungen, auf eigenen Beinen zu stehen und die Entscheidung zu treffen: Willste? Oder willste nicht - das Leben als Ganzes annehmen? Und Ja sagen zu dem, was draußen ist.

Macht es das schwerer, Grenzen zu akzeptieren?

Fürmann: Ja, man hat dann die Tendenz, extremer zu sein im Ausloten von Grenzen, weil man sich die selber erarbeiten muss. Zum Glück habe ich aber in meinem Elternhaus ein stabiles Rüstzeug mitbekommen.

Jemals das Gefühl gehabt: Jetzt renne ich gegen eine Wand? Hier ist die Grenze.

Fürmann: (lacht) Klaaar.

Als Sie beim S-Bahn-Surfen verunglückt sind?

Fürmann: Ja, da war ich 17. Wir haben am Wannsee eine Party gefeiert, Tür auf, rein in den Zug. Hey. Gegen den Wind angeschrien. Und dann hat es krawumm gemacht und ich bin mit dem Kopf gegen eine Ampel geknallt. Da ist alles gebrochen. Das Jochbein, der Schädel, Wirbel. Das bedeutete: ein Jahr lang keinen Sport machen.

Zurück zur Mauer: Wie haben Sie denn den 9. November 1989 erlebt?

Fürmann: Ich steckte damals in einem Internat in Westdeutschland, wie man damals sagte. Die Schulsekretärin hat mir erzählt, dass die Mauer gefallen ist. Ich hab's ihr erst nicht geglaubt. Ich habe mich einen Tag später in den Zug nach Berlin gesetzt.

So spät? Da haben Sie das Beste verpasst.

Fürmann: Ach was, ich weiß noch, wie ich an der Mauer stand und mir bewusst wurde, dass ich Teil der Geschichte war. Das war groß. Unglaublich. Auf einmal hat man eine halbe Stadt geschenkt bekommen, in der es noch dunkle Ecken und Winkel zu entdecken gab.

Gehören Sie auch zu den Berlinern, die Mauerreste in einer gläsernen Vitrine aufbewahren?

Fürmann: Nein, aber ich weiß noch, wie ich versucht habe, Riesenstücke mit dem Hammer herauszuhauen, so, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte. Ich weiß bis heute nicht, was ich falsch gemacht habe. Bei mir kamen nur erbsengroße Stücke heraus.