Bei der Suche nach einer vermissten 24-Jährigen fand die New Yorker Polizei schon acht Frauenleichen. Und sie befürchtet weitere Opfer

New York. Es begann mit Schreien und heftigem Klopfen an der Tür. Gus Coletti, 76, war kurz vor 5 Uhr morgens schon auf den Beinen und beim Rasieren, als eine junge Frau, völlig aufgelöst vor Angst, um Einlass flehte. "Hilf mir, bitte hilf mir!" Der Rentner griff zum Telefon, um die Polizei zu rufen. Da lief sie davon und wurde nie mehr gesehen. Coletti identifizierte die Frau später anhand von Fotos. Es war die 24-jährige Shannan Gilbert aus Jersey City im Nachbarstaat New Jersey.

Gilbert verdiente ihren Lebensunterhalt als Prostituierte. Sie hatte ihren letzten Freier bei Craigslist kennengelernt, einem Internetportal, das Kleinanzeigen kostenlos listet. Seit jenem Morgen im Mai 2010 fahndete die Polizei in der Strandgemeinde Oak Beach von Long Island (US-Bundesstaat New York) nach einem Lebenszeichen - oder auch den Überresten - der Vermissten.

Die Suche mit Kadetten einer nahe gelegenen Polizeiakademie, Feuerwehrleuten sowie Spürhunden führte zu grausigen Funden. Experten sehen in ihnen das Werk eines Serienmörders. Acht Leichen wurden bisher geborgen, die letzten drei am Montagabend. Bei allen handelt es sich um junge Frauen in Gilberts Alter. Der Täter hatte sie in Sackleinen verpackt und im Gebüsch der Strände Gilgo und Oak versteckt.

Die "New York Times" brachte in Erfahrung, dass Gerichtsmediziner die Morde auf eine Zeitspanne von 2007 bis 2010 datieren. Nach der Untersuchung der letzten drei Leichen wurde jetzt bekannt, dass die ursprünglich gesuchte Shannan Gilbert nicht unter ihnen ist.

Das heißt für die Polizei, dass ihr vermutlich noch mindestens ein Leichenfund bevorsteht. Sie hat den Strand im Süden der Insel mittlerweile auf einer Länge von etwa elf Kilometern abgeriegelt. Auch gestern wurde dort wieder gesucht. Gilgo und Oak Beach gehören zu der Stadt Babylon, die eine gute Stunde Autofahrt von Manhattan entfernt liegt. Der letzte Zensus im Jahr 2000 hatte 333 Einwohner in der Strandgemeinde gezählt.

Anders als in den berühmten Hamptons am östlichen Ende von Long Island, wo Hollywoodstars und der New Yorker Geldadel ihre Anwesen haben, wohnt man in Oak Beach bescheiden. Das Haus des Rentners Coletti gehört zu einer geschlossenen Siedlung mit Sicherheitspforte. Die Polizei vermutet, dass Shannan Gilbert aus einem der Nachbarhäuser geflohen war, und durchkämmt auch die Siedlung.

Der Fernsehsender ABC ließ sich von einem ehemaligen FBI-Agenten erklären, dass Serienmörder der Statistik nach weiße Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren sind. Oft sind sie verheiratet, haben eine Familie und führen ein unauffälliges bürgerliches Leben. Nur wenige Serienmörder sind durch andere kriminelle Vergehen bekannt, relativ viele von ihnen sind als Kinder sexuell missbraucht worden, sagte der Ex-Detektiv Brad Garrett dem Sender.

Typisch für diese Täter sei, dass sie ihre Verbrechen im näheren Umkreis begehen, wo sie sich auskennen und nicht als Fremde in Verdacht geraten. Das dürfte auch auf den Mörder der acht Frauen auf Long Island zutreffen, sagte Garrett. "Die vielen Leichenfunde auf begrenztem Raum lassen darauf schließen, dass sich der Killer gut auskennt. Er wuchs hier auf, arbeitet und lebt hier oder hat einen Grund, immer wieder zurückzukehren. Er fürchtet sich nicht, dabei erwischt zu werden, wenn er wenigstens achtmal am Straßenrand hält und die Frauenleichen bis zum Dickicht zieht."