Alles Überflüssige auf den Müll. Die Wohlstandsgesellschaft muss Wegwerfen neu lernen. Aber wie trennt man sich von Plüschhase Willi?

Ab und zu muss man ausmisten. Unser Keller, das sind zehn Quadratmeter weggestelltes Leben. Ein alter Schreibtisch, Fahrräder, ausrangierte Lampen, Kartons mit Büchern, Geschirr, Urlaubs-Dias, Examensarbeiten, Säcke mit Klamotten, die nicht mehr passen oder noch nie gepasst haben, Puppenservice, Hamsterkäfig, Tante Gerdas selbst gemalte Aquarelle ("Eiderstedt im Regen").

Und in einer Reisetasche - die Kuscheltiere.

Augenblicklich sind meine guten Aufräum-Vorsätze verpufft. Mit der Maulwurf-Handpuppe haben wir unserer Tochter "Maikäfer flieg" vorgesungen. Den Tiger musste der Opa in den Ferien mal aus einem Fischteich retten. Und der fast totgeliebte Ins-Bett-geh-Hase mit dem abgeschabten Fell: Willi. Tja. Die braucht natürlich keiner mehr. Aber die kann man doch nicht ... Vielleicht wenn später mal Enkel ...

So ein Gang in den Keller ist fatal.

Deshalb sitze ich am Sonnabend um zehn in der Volkshochschule Bergedorf im Kursus "House Coaching". Es geht um Aufräumen, Entrümpeln, Ordnung schaffen. Im Keller, auf dem Dachboden, im Leben. Zugegeben, ich war skeptisch. Muss man denn fürs Aufräumenlernen einen Kursus besuchen? Ich erwartete lauter Messies, Leute, denen das Wohnungsamt auf die Pelle gerückt ist, weil sie ihre vollgemüllten Zimmer nicht mehr betreten können.

Die Annahme war falsch. Wir sind 15, vier Männer und elf Frauen, alles ganz normale, adrette Menschen zwischen 20 und 60. Unsere Kursusleiterin Hilke Bock ist eigentlich Feng-Shui-Lehrerin. Feng-Shui hat mit dem Aufräumen insofern zu tun, als diese Lehre des altchinesischen Tao auf die Harmonisierung des Menschen mit seiner Umgebung zielt. Wir sollen uns in unseren Räumen wohl- und sicher fühlen, sagt Hilke Bock. Unsere Energie, das Chi, soll fließen und nicht ständig blockiert werden, zum Beispiel durch falsche Farben, unbequeme Möbel, überquellende Zimmer. Das sind dann seelische Baustellen.

Petra, schätzungsweise die Älteste von uns, hat so eine Baustelle: "Ich habe Eulen gesammelt, außerdem Kochrezepte, CDs, DVDs, Fotoalben, alte Spielsachen. Ich denke an meinen Sohn, was auf den zukommt, wenn ich mal in ein Heim muss." Dabei finde sie dessen Wohnung jetzt schon fürchterlich unordentlich. Sie fragt sich, woher er das hat. Im Kursus möchte sie erfahren, "wie andere das hinkriegen".

Jan ist Mitte 30 und hat nach einer Trennung viel zu viel Platz. Elke fühlt sich daheim "irgendwie verloren", weil ihre drei Kinder nun alle aus dem Haus sind, und überlegt, wie sie die Räume anders nutzen kann: "Die Take-That-Poster müssen weg." Das junge Paar neben der Tür sucht eine kleinere Wohnung und hat zu viele Sachen. Walter, so um die 50, hat eine Umschulung gemacht, irgendwas mit Pflege, und will sich "besser organisieren".

Das sind typische Problemlagen, sagt Hilke Bock. Berufliche und familiäre Umstellungen, Trennungen und Todesfälle bewirken, dass wir mit unserer Umgebung nicht mehr zufrieden sind. Es geht um die Frage: Was hat künftig einen Platz in meinem Leben und was nicht? Was behalte ich, was nicht?

Man könnte voller Tatkraft zu Werke schreiten und sich sagen: Aufräumen ist doch toll! Da hab ich mehr Platz und mehr Freiheit! Aber stattdessen werden die meisten Menschen beim Aufräumen von unerklärlicher Schwermut und innerem Widerstand befallen. Warum ist Aufräumen so schwere Arbeit?

Wir finden in der Runde schnell heraus, was uns regelmäßig in die Quere kommt: Erinnerungen an Menschen und Erlebnisse. Der Plüschhase Willi, Gerdas Aquarelle, das sind solche Erinnerungssymbole. Quasi verdinglichte Beziehungen.

Kurt Tucholsky, Kenner vieler Alltagsabgründe, beschrieb das Problem schon 1930 in einer Satire. "Manchmal sucht die Hausfrau etwas - dann stößt sie auf einen Haufen Unglück. Sie verliert sich darin, taucht unter, kommt erst spät zu Mittag wieder hervorgekrochen, staubbedeckt, mit rotem Kopf und abwesenden Augen, wie von einer Reise in fremde Länder ... 'Denk mal, was ich gefunden habe! Paulchens ersten Schuh!'" Die Leute, resümiert Tucholsky, heben Gerümpel gar nicht auf, "sie können nur nicht übers Herz bringen, es wegzuwerfen".

Männer tun zwar immer so, als wären sie gegen sentimentale Anwandlungen beim Aufräumen gefeit. Sind sie aber nicht. Man betrachte ihre Werkzeug- und Schraubensammlungen in deutschen Garagen. Jan hat beruflich mit Fortbildung zu tun und kämpft mit Papiermengen, sagt er. "Ich hab's mit Scannen versucht, so viel wie möglich auf Festplatten geschoben." Aber wie oft sieht man sich die dann noch an?

Am schlimmsten seien Nachlässe, sagt die resolut wirkende Margret, und deshalb sei sie hier im Kursus. Vor zwei Jahren starben kurz hintereinander zwei nahe Verwandte von ihr. "Sechs Wochen lang habe ich die Wohnungen besenrein ausgemistet. Beim Recyclinghof begrüßten sie mich schon mit Handschlag." Danach hatte sie immer noch drei komplette Kaffee-Service, Silberbestecke, Fernseher, Stereoanlagen, Küchenuhren, zig Langspielplatten, Nippes, von Badezimmerschränkchen und Gartenstühlen ganz zu schweigen. Vor allem die vier Pelzmäntel ärgerten sie, "so was trag ich nie!".

Sie hätte eigentlich all diese Wertgegenstände wieder an den Mann oder die Frau bringen wollen, aber dazu fehlte ihr die Kraft, sagt sie: monatelang Nachlass durchsehen, Angebote bei Ebay einstellen, Trödler abklappern, Kleinanzeigen schalten, sonnabends zum Flohmarkt. Elke versteht sie. "Es sind ja Werte", sagt sie, "jedenfalls waren es Werte für die Verwandten, die früher lange darauf gespart haben."

Hilke Bock schüttelt den Kopf. Viele, die Nachlässe allein bewältigen wollten, verzagten nach einer Weile und fühlten sich emotional völlig überfordert. Aber sie sind keine Einzelfälle mehr, sondern ein Grund, warum dieses Seminar stattfindet. "Wir befinden uns in einer Wohlstandssituation, die es noch nie gegeben hat", sagt Hilke Bock. "In Deutschland sind die Menschen nicht mehr damit beschäftigt, das Notwendigste zu beschaffen, sondern damit, Überflüssiges loszuwerden."

In 65 Jahren Frieden und Wiederaufbau haben sich in den Privathaushalten Anschaffungen angesammelt, von denen Menschen anderswo auf der Welt lange träumen. Inzwischen wurden die Familien deutlich kleiner. Und die heutigen mittleren Jahrgänge sind die "Generation Erben".

"Die Aufbaugeneration der Republik tritt ab und hinterlässt ein im Wirtschaftswunderland kräftig vermehrtes Vermögen", schrieb die "Zeit". Vermögen in Höhe von 170 Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland vererbt, haben Markt- und Konsumforscher errechnet, die Summe entspricht etwa zehn Prozent des Volkseinkommens. Dazu kommen die "Gebrauchtvermögen" - Autos, Möbel, Wertgegenstände -, die erbschaftssteuerlich gar nicht erfasst werden. Durch die häufen sich Konsumgüter gerade in Mittelklassefamilien, die selbst schon alles haben.

Unsere Urgroßmütter kamen ein halbes Jahrhundert mit derselben Kaffeemühle aus. Ich selbst habe schon mehrere Generationen von Kaffeemaschinen erlebt und gelte als dramatisch untertechnisiert, weil ich noch keine Espresso-Maschine besitze. Die Konsum-Moden folgen immer schneller aufeinander, am schnellsten bei den Mobiltelefonen.

Und wer nicht regelmäßig aussondert, verschiebt die Probleme nur: Unsere Kinder können später mal eine Halle mieten. Kein Wunder, dass in deutschen Großstädten schon jetzt immer mehr Einlagerungsfirmen aus dem Boden schießen.

Eigentlich träumen wir davon, dass unsere Räume so schön postmodern und ordentlich wirken wie in den Apartments im "Tatort". Dafür sorgen allerdings unsichtbare Fachleute vom production design . Dass so viele Menschen schlecht entrümpeln können, liegt nicht nur daran, dass wir "Räum dein Zimmer auf" schon als Kinder blöd fanden. Wir hören seit den 1980er-Jahren eine gegenläufige Botschaft: Wir seien eine "Wegwerfgesellschaft".

Der Begriff ist immer noch ein Schlachtruf gegen Müllberge und ungezügelten Konsum: Die Wegwerfgesellschaft repariert nichts mehr, sie schreit immer nach dem neuesten Modell, statt Werte zu bewahren.

Ich habe eher das Gefühl, wir müssten das Wegwerfen erst richtig lernen. Tante Gerdas Aquarelle würden wir uns nie hinhängen, trotzdem ... Wegwerfen fiele uns schwer, wo sie doch so gerne gemalt hat. Hilke Bock widerspricht: "Sie sollten sich fragen: Sind mir die Gefühle von anderen, sogar von verstorbenen Menschen wichtiger als mein eigenes Wohlgefühl?" Man könne solche Gegenstände "in Würde verabschieden: Adieu, ihr Dinge, ihr habt große Freude bereitet, aber eure Zeit ist vorbei."

Tucholsky hat es auf den Punkt gebracht: "Hast du schon gemerkt, dass du nicht die Sachen besitzt, sondern dass sie dich besitzen?" Unser Feng-Shui-Fazit: Gerümpel drückt uns energetisch nieder, hält uns in der Vergangenheit fest und erschwert jede Veränderung. Das sind eindeutig zu viele Einflüsse des dunklen Yin gegenüber dem aktiven und heiteren Yang. Hilke Bock hat eine Reihe praktischer Hinweise, wie wir das Aufräumen jetzt generalstabsmäßig in Angriff nehmen können (siehe Kasten). Ich verlasse das Seminar ganz zuversichtlich.

Nur eins bleibt klar. Willi auf den Müll? Nur über meine Leiche.

Für alle, die zum Frühjahrsputz entschlossen sind und dabei Hilfe brauchen. Nützliche Adressen und Links von Tauschbörse bis Möbelhof finden Sie hier .