Erneut stieg Qualm über Fukushima Eins auf. Japan geht mittlerweile von rund 22.000 Toten und Vermissten infolge des Erdbebens aus.

Tokio/Fukushima. Im Kampf gegen den Super-GAU am Atomkraftwerk Fukushima gibt es neue Rückschläge. Über zwei Blöcken des japanischen Katastrophen-Kraftwerks stiegen am Montag wieder Rauch und Dampf auf. Rettungsarbeiten an der strahlenden Ruine mussten auf Dienstag verschoben werden, um die Arbeiter nicht noch stärker zu gefährden. Gleichzeitig sind Wasser und Essen zunehmend radioaktiv belastet. Am Tag zehn nach der Naturkatastrophe wurde auch deutlich, dass der Energiekonzern Tepco bei der Wartung von Reaktoren geschlampt hat.

Die Polizei geht mittlerweile von knapp 22.000 Toten und Vermissten der Erdbeben-Katastrophe aus, die Japan am 11. März heimsuchte. In den Gebieten rund um die Krisenregion im Nordosten Japans steigt die Strahlenbelastung im Essen und im Trinkwasser. Auch im Meerwasser wurde mittlerweile eine Belastung mit radioaktivem Jod und Cäsium gemessen. Für vier Präfekturen verhängte die Regierung in Tokio am Montag ein Auslieferverbot für Milch und mehrere Gemüsesorten. Ein komplettes Dorf in der Fukushima-Region darf kein Leitungswasser mehr trinken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist über die Belastung von Lebensmitteln „stark besorgt“, wie ein Sprecher in Genf sagte.

In Fukushima beschossen am Montag erneut Wasserwerfer Abklingbecken der Reaktoren 3 und 4 über Stunden mit Meerwasser, um die heißen Brennstäbe zu kühlen. Über dem Abklingbecken von Block 3 wurde am Nachmittag grauer Rauch gesichtet, der sich dann wieder verzog. Später war auch über Block 2 Dampf zu sehen. Die Ursachen waren in beiden Fällen unklar, wie ein Sprecher der Atomsicherheitsbehörde NISA laut der Nachrichtenagentur Kyodo sagte. Die Radioaktivität sei nicht „dramatisch“ gestiegen.

Tepco zog wegen des Rauchs aber die Arbeiter zwischenzeitlich von den besonders gefährlichen Geländeteilen ab. Sie sollten am Dienstag (Ortszeit) fortfahren, die Brennstäbe mit Wasser abzukühlen und den Strom wiederherzustellen. Im Unglücks-AKW war es erst am Sonntag gelungen, die Schaltanlagen von Block 1 und 2 wieder an die Stromversorgung anzuschließen. So soll die Reaktorkühlung wieder hergestellt werden - allerdings ist unklar, ob die Pumpen überhaupt noch funktionieren.

Vor dem Unfall gab es Schlampereien in mehreren AKW des Betreibers: Einige Tage vor dem Erdbeben veröffentlichte Tepco selbst einen Bericht über Mängel bei der Inspektion in mehreren Atomkraftwerken. In Fukushima Eins seien insgesamt 33 Geräte und Maschinen nicht ordnungsgemäß überprüft worden, schrieb die Agentur Kyodo über den Bericht. Betroffen waren außer Fukushima Eins das AKW Fukushima Zwei und die Anlage Kashiwazaki-Kariwa an der Westküste Japans. Insgesamt seien in den drei Anlagen mehr als 400 Geräte und Maschinen nicht wie vorgeschrieben inspiziert worden.

Sumi und Jin Abe: Großmutter und Enkel geht es gut

Der Tsunami und das Erdbeben hatten Fukushima Eins schwer beschädigt. Seitdem kämpfen Arbeiter verzweifelt gegen den Super-GAU. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, nannte die Lage immer noch „sehr ernst“, obwohl es Fortschritte gebe.

Das komplette Dorf Iitate in der Fukushima-Region ist inzwischen ohne genießbares Trinkwasser. Messungen in der rund 30 Kilometer vom AKW Fukushima Eins entfernten Gegend ergaben einen deutlich erhöhten Wert von 965 Becquerel Jod pro Liter Leitungswasser, wie Kyodo unter Berufung auf das Gesundheitsministerium berichtete. Der Grenzwert liegt bei 300 Becquerel.

Spuren von radioaktivem Jod wurden laut Kyodo mittlerweile in dem Trinkwasser von neun Präfekturen gemessen, darunter in Tokio. Cäsium wurde in zweien von ihnen festgestellt. Allerdings seien die Grenzwerte der Kommission für atomare Sicherheit bei diesen Proben unterschritten worden, hieß es.

Erhöhte Radioaktivität gibt es in Japan unter anderem bei Blattgemüse wie Spinat. Der Norden der Präfektur Fukushima ist eine der wichtigsten Anbauregionen für Reis, Obst und Gemüse und wird auch für Milchwirtschaft genutzt.

Derweil wuchs bei Fachleuten die Sorge, ob die Evakuierungszone um Fukushima groß genug ist. Die Strahlungswerte sind nach Informationen der IAEA auch außerhalb der 20-Kilometer- und der 30-Kilometer-Zone zu hoch. „Da muss man sich etwas überlegen“, sagte ein ranghoher IAEA-Beamter der Nachrichtenagentur dpa auf die Frage, ob eine Erweiterung des Evakuierungsgebiets notwendig sei. Bisher ließen die Japaner ein Gebiet von 20 Kilometern um Fukushima Eins herum räumen.

Auch Tage nach Erdbeben und Tsunami im Nordosten des Landes harren noch 350.000 Menschen in Notunterkünften aus. Zehntausende verbringen die Nächte weiter in bitterer Kälte und Regen. Zwar treffen allmählich Hilfsgüter ein. Und die Reparaturarbeiten unter anderem an den Gas- und Wasserleitungen sind im Gange. Doch vielerorts mangelt es an Heizöl und Öfen. Die Zahl der geborgenen Toten stieg auf 8649, hinzu kommen offiziell 13 262 Vermisste.

Ministerpräsident Naoto Kan sprach von einem „langsamen, aber stetigen Fortschritt“ in der Atomkrise. Wegen des schlechten Wetters sagte er jedoch einen seit Tagen geplanten Flug in das Katastrophengebiet ab.

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Lesen Sie auch alle Ereignisse vom Sonntag im Liveticker:

18:43 Uhr: Die Bewohner der Präfektur Fukushima wird von der japanischen Regierung empfohlen, das dortige Leitungswasser nicht zu trinken. Die radioaktive Belastung könnte zu hoch sein. Zuvor waren bereits erhöhte Strahlungswerte im Leitunsgwasser von Tokio und anderen Regionen des Landes festgestellt worden.

18.35 Uhr: Die Lage im japanischen Atomkraftwerk in Fukushima I ist laut UN-Atombehörde IAEA trotz einiger Fortschritte in den vergangenen 24 Stunden weiter sehr ernst. Ein Sprecher der Behörde sagte, die Strahlung in den japanischen Großstädten bleibe zwar unter den Grenzwerten. Allerdings sei in einigen Gemüseproben mehr radioaktives Jod nachgewiesen worden als erlaubt.

16.35 Uhr: Der Reaktorblock 5 der beschädigten Atomanlage Fukushima Eins ist wieder an das externe Stromnetz angeschlossen. Das teilten am Montag (Ortszeit) die Behörden nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo mit. Das Kühlsystem des Reaktorblocks wurde zuvor mit Notgeneratoren betrieben.

16.10 Uhr: Autobauer Nissan aus Japan hat angekündigt, in der kommenden Woche den Betrieb im von Erdbeben, Tsunami und Atomsorgen gebeutelten Japan wieder anlaufen lassen. Die Herstellung von Ersatzteilen und von Teilen für die Fertigung im Ausland werde am Montag in fünf Fabriken wiederaufgenommen.

15.30 Uhr: Die Temperatur in allen Abklingbecken im havarierten Atomkraftwerk Fukushima erreichte nach Informationen der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo am Sonntag Werte von unter 100 Grad.

15.00 Uhr: Wie Verantwortliche des Atomkomplexes Fukushima bekannt gegeben haben, soll in zwei von sechs Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente in dem Kernkraftwerk die Lage wieder unter Kontrolle sein. Die Temperatur in den Becken sei in einen normalen Bereich abgekühlt. In den anderen Blöcken wird an der Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken weiter mit Hochdruck gearbeitet.

12.55 Uhr: Wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldet, haben Rettungskräfte Meerwasser in das Abklingbecken des Reaktorblocks 2 des havarierten Atomkraftwerks Fukushima Eins gepumt. Zuvor war der Reaktor an das Notstromnetz angeschlossen worden. Mit dem Netz werden die Pumpen zur Wasserkühlung des Meilers mit Strom versorgt.

12.24 Uhr: Der Reaktorblock 6 der havarierten Atomanlage Fukushima Eins ist in einer stabilen Lage ("cold shutdown“). Das berichtete am Sonntag die Nachrichtenagentur Kyodo. Bei einem sogenannten "cold shutdown“ funktioniert die Kühlung des abgeschalteten Atommeilers wieder. Die Temperatur des Kühlwassers liegt unter 100 Grad Celsius und ist damit zunächst so niedrig, dass keine Gefahr mehr droht.

11.12 Uhr: Rettungskräfte haben in Ishinomaki neun Tage nach dem verheerenden Erdbeben eine 80-jährige Frau und ihren 16 Jahre alten Enkel aus den Trümmern eines Hauses gerettet. Das japanische Fernsehen NHK berichtete am Sonntag über die beiden Geretteten, die in Ishinomaki, in der mit am schwersten betroffenen Provinz Miyagi, gefunden worden seien. Großmutter und Enkel wirkten demnach geschwächt, hätten jedoch auf Fragen der Polizei reagiert. Der Junge soll an Unterkühlung leiden. Die beiden hätten sich von Joghurt und anderen Dingen, die in einem Kühlschrank des zerstörten Hauses lagen, ernährt, berichtete NHK. Von dem Jungen heißt es, er habe sich auf den Trümmern des Daches befunden und nach Hilfe gerufen. Ein Suchtrupp der Einsatzkräfte habe ihn in den Trümmern entdeckt. Beide Überlebenden wurden mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus ausgeflogen.

09.15 Uhr: Die japanische Regierung spricht von Fortschritten im Kampf gegen einen Super-GAU am Reaktor 3 des Atomkraftwerkes Fukushima. Entscheidungen über mögliche Einschränkungen beim Verkauf und dem Verzehr von Farmprodukten will die Regierung nach eigenen Angaben spätestens am Montag treffen.

09.02 Uhr: Nach Angaben der japanischen Wetterbehörde dürfte Tokio heute weiterhin von der aus dem Atomkraftwerk Fukushima austretenden Radioaktivität weitgehend verschont bleiben. Für die Region um den Reaktor sagte sie gleichzeitig Nieselregen voraus.

08.52 Uhr: Im Großraum Tokio sind nach Angaben der Regierung radioaktiver Staub und Partikel gefunden worden. Risiken für die Gesundheit bestünden nicht.

08.16 Uhr: Die Polizei rechnet allein in der Präfektur Miyagi mit mehr als 15.000 Toten durch das verheerende Erdbeben und den Tsunami, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtet. Die bestätigte Zahl der Todesopfer wird derzeit mit knapp 7000 angegeben. 10.700 Menschen werden vermisst.

07.40 Uhr: Die Temperaturen in den Reaktorblöcken 5 und 6 sind offenbar fast wieder auf normalem Niveau. Das berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf den Betreiber des Atomkraftwerks Fukushima, Tepco.


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Mit Material von dpa, dapd, afp und rtr