Rettungskräfte finden in Japan 5000 Tote. Zehntausende Menschen werden noch vermisst. Gestern erschütterte erneut ein Beben auch Tokyo.

Hamburg. In Japan zeigt sich nach der doppelten Katastrophe aus Erdbeben und Tsunami ein Bild der Verwüstung. Straßen, Häuser, ganze Landstriche sind zerstört. Mehr als eine Million Menschen sind ohne Trinkwasser, Lebensmittel und Benzin werden knapp; der Strom wird rationiert. Und immer wieder bebt die Erde. Mehr als 150 Nachbeben haben die Behörden inzwischen registriert.

Gestern erschütterte ein Beben der Stärke 6,2 auch die Hauptstadt Tokio. Kurz darauf gaben die Behörden, die vor einem neuen Tsunami mit meterhohen Wellen in der Präfektur Iwate und in Fukushima gewarnt hatten, Entwarnung. Währenddessen kämpfen sich Bergungstrupps in den verwüsteten Orten an der Nordostküste mit Kettensägen und Spitzhacken durch Trümmer vor. Stück für Stück arbeiten sie sich durch ein unglaubliches Gewirr aus Holzbalken, Plastikplanen, Dachteilen, Schlamm, Wracks von Autos und Booten, verknäulten Kabeln und Haushaltsgegenständen.

Viele Zufahrtsstraßen waren wegen Zerstörungen, Erdrutschen und Überschwemmungen unpassierbar geworden. Der Sprecher des Roten Kreuzes im Asien-Pazifik-Raum, Patrick Fuller, sagte, die Retter lieferten sich einen "verzweifelten Wettlauf mit der Zeit". Oft fänden sie nur noch Tote. Die offiziell bestätigte Zahl der Opfer und Vermissten ist auf 5000 gestiegen. Das teilte die japanische Polizei mit. Es wird befürchtet, dass weit mehr als 10 000 Menschen ums Leben kamen. Allein in der Präfektur Miyagi, eine der drei am härtesten getroffenen Regionen, entdeckten Rettungskräfte 2000 angeschwemmte Leichen. Hinweise auf deutsche Opfer gebe es zunächst keine, teilte das Auswärtige Amt mit.

Währenddessen wurden Leichensäcke und Särge knapp. "Wir haben Beerdigungsunternehmen im ganzen Land gebeten, uns viele Leichensäcke und Särge zu schicken", sagte ein Verwaltungsbeamter in der Präfektur Iwate. "Wir haben schlicht nicht erwartet, dass so etwas passiert." Die Stadtverwaltung in Soma in der Nachbarprovinz Fukushima teilte mit, dass das Krematorium an seine Grenzen gerate. "Wir schaffen nur 18 Tote am Tag", sagte Kasuhiko Abe von der Verwaltung. Die Regierung hob gestern die Vorschrift auf, dass für Beerdigungen und Einäscherungen eine amtliche Genehmigung vorliegen muss, um die Beisetzung der Opfer zu beschleunigen.

Zehntausende Menschen werden nach wie vor vermisst. Im Ort Otsuchi in der Präfektur Iwate im Nordosten der Hauptinsel Honshu fehlt von 12 000 der 15 000 Einwohner jede Spur. Auch in Miyagi sind mehr als 10 000 Menschen vermisst. Nach einem Bericht des japanischen Fernsehsenders NHK haben 310 000 Menschen in Notunterkünften Zuflucht gefunden. Tausende sind irgendwo gestrandet. Die Kinderrechtsorganisation Save the Children fürchtet, dass Zehntausende Kinder obdachlos geworden sind. "Wir machen uns große Sorgen um mindestens 70 000 Kinder, die durch die Katastrophe ihr Zuhause verloren haben", sagte der Leiter des Katastrophenteams vor Ort, Stephen McDonald. "Viele von ihnen sind in Notunterkünften untergebracht. Sie sind traumatisiert und stehen unter Schock. Außerdem wurden Mädchen und Jungen möglicherweise von ihren Familien getrennt."

In den Notlagern und Sammelstellen betreuen Helfer des japanischen Roten Kreuzes die Gestrandeten. Viele von ihnen sind beinahe ertrunken und mussten viel Wasser schlucken. Zudem haben viele Menschen Brandverletzungen oder Rauchvergiftungen durch die zahlreichen Brände erlitten. Viele Helfer zeigten sich erschüttert über Not und Elend. "Otsuchi erinnert mich an Osaka und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg", sagt Japans Rotkreuzpräsident Tadateru Konoe. Alles sei kaputt und dem Erdboden gleichgemacht." Es sei die Hölle.

Die Regierung hat 100 000 Soldaten zum Hilfseinsatz beordert und 120 000 Decken, 120 000 Flaschen Wasser und 110 000 Liter Benzin ins Katastrophengebiet geschickt. Insgesamt seien 530 000 Menschen obdachlos geworden, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. In mehreren Städten, darunter auch in Tokio, kam es zu Hamsterkäufen. "Die Leute bevorraten sich vor allem mit Wasser und Reis, aber auch mit Konserven", sagte ein Sprecher des Handelskonzerns Metro. An vielen Tankstellen hingen Schilder mit der Aufschrift "Ausverkauft".

Die internationale Erdbebenhilfe nahm gestern Fahrt auf. Rettungsmannschaften aus den USA, China und Südkorea begannen mit der Suche nach Vermissten. Rund 40 Spezialisten des Technischen Hilfswerk (THW) sind im Auftrag der Bundesregierung vor Ort. Mehr als 70 Länder erklärten, Japan beistehen zu wollen. Die Regierung in Tokio bat allerdings die EU, zunächst keine Hilfsteams mehr ins Land zu schicken. Sie begründete dies mit den Schwierigkeiten, die Helfer in die Katastrophengebiete zu bringen.