Die erst 20 Jahre alte Mutter bat in den USA um Asyl. Der Drogenkrieg hat auch sie zermürbt

Mexico-City. "Wir können die Angst nicht siegen lassen", hatte Marisol Valles, 20, noch vor gut vier Monaten gesagt und mutig den Posten der Polizeichefin in der mexikanischen Grenzstadt Praxedis Guadalupe Guerrero übernommen. Doch jetzt hat die Angst auch über die junge Mutter mit der schwarzen Brille und den schulterlangen Haaren gesiegt. Sie ist vor den Drogenbanden in die USA geflohen und hat dort um Asyl gebeten.

Durch ihre Stadt führen die Schmugglerpfade in die USA

Die 10 000-Einwohner-Stadt Guadalupe liegt am Fluss Rio Grande im Bundesstaat Chihuahua. Dort tobt der Drogenkrieg zwischen dem Juarez- und dem Sinaloa-Kartell wegen der Nähe zur US-Grenze besonders heftig. Die Polizei steht zwischen den Fronten und wird aufgerieben. Kaum eine Woche, in der nicht Tote zu beklagen sind. Auf verschlungenen Pfaden versuchen die Schmuggler, ihre Ware in die USA zu bringen und sich das Geschäft nicht streitig machen zu lassen. Vor Mord schreckt keiner von ihnen zurück, auch nicht vor Mord an Beamten. Valles' Vorgänger waren getötet worden oder hatten gekündigt. Erst im Juni 2010 war der Bürgermeister des Ortes umgebracht worden. "Sie war die Einzige, die den Job angenommen hat", hieß es bei ihrer Amtseinführung im Oktober. Viele nannten die Kriminologiestudentin ohne Praxiserfahrung damals naiv, andere fanden sie mutig.

Immerhin: Die jüngste Polizeichefin der Welt hielt länger durch, als mancher in ihrem 19-köpfigen Team es für möglich gehalten hatte. In den vergangenen Tagen bekam sie immer wieder geheimnisvolle Anrufe mit Morddrohungen, berichtete einer ihrer Verwandten. Die verheiratete Frau bekam Angst um ihren kleinen Sohn. Heimlich flüchtete sie mit zwei Familienangehörigen über die Grenze in die Staaten. Dort hat Mexikos mutigste Polizeichefin nun Hilfe erbeten. Zusammen mit FBI-Agenten will sie künftig von Amerika aus den Kampf gegen die Rauschgift-Mafia fortführen. Ob ihr Mann noch in Mexiko ist, blieb geheim.

Marisol Valles hatte im etwa 30 Kilometer entfernten Ciudad Juárez studiert. Die Stadt gilt als die gefährlichste Mexikos. Letztes Jahr wurden dort 2000 Menschen ermordet. Die junge Frau wurde fast täglich mit verstümmelten Leichen konfrontiert. Seit Beginn einer Regierungsoffensive gegen den Drogenhandel Ende 2006 starben mehr als 35 000 Menschen in Mexiko.

Bei ihrem Amtsantritt hatte Marisol Valles deshalb noch gesagt: "Ich bin das Risiko eingegangen, weil ich möchte, dass mein Sohn in einer anderen Gesellschaft lebt als wir heute. Ich möchte, dass die Menschen ohne Angst nach draußen gehen können wie früher." Die Frau mit den pinkfarbenen Fingernägeln hat kapituliert. Ihre Heimat ist unsicherer denn je. Erst im November hatte der Mord an einer Polizeichefin, 38, die Kleinstadt Meoqui schockiert. Sie hatte ihren Posten nur einen Monat zuvor angetreten. Im Dezember wurde dann in Guadalupe die 28-jährige Polizistin Erika Gandara entführt. Ihr Schicksal ist ungeklärt.