Die Zweijährige stand weinend am Fenster. Die Bahn entschuldigt sich bei der Frau

Pritzwalk. "Vorsicht, die Türen schließen", diese freundliche Ansage der Bahn ist Geschichte. Im Zeitalter verwaister Bahnsteige hat eine junge Mutter am Wochenende im brandenburgischen Pritzwalk den Albtraum aller zugreisenden Eltern erlebt.

Ulrike Kracht, 19, und ihre Tochter Marie-Luise, 2, wollten am Bahnhof aus dem Prignitz-Express aussteigen. Beide waren zu einem Besuch bei der Großmutter der Kleinen angemeldet. Die im dritten Monat schwangere Frau packte zuerst die schwere Reisetasche, stellte danach den Kinderwagen auf den Bahnsteig. Dann wollte ein Mann einsteigen, der Probleme beim Gehen hatte.

Die Mutter sah noch, wie ihr Kind schrie und weinte

Als der Einstieg wieder frei war und Ulrike Kracht ihre Tochter nachholen wollte, schlossen sich plötzlich die Türen, der Zug fuhr an. Die Mutter sah noch die schreckgeweiteten Augen ihrer Tochter. Das Mädchen stand am Fenster der Tür schrie und weinte bitterlich. Dass die 19-Jährige in diesem Moment nur den Türöffnungsknopf hätte drücken müssen, daran dachte sie natürlich nicht.

"Ich war total in Panik, trommelte mit Fäusten gegen die Tür, drückte auf den Knopf, es tat sich nichts. Dann rannte ich dem Zug hinterher", schilderte Ulrike Kracht die tragischen Minuten der "Berliner Zeitung". "Das war so schlimm und kein Schaffner auf dem Bahnhof. Der Zug fuhr einfach", sagte Ulrike Kracht. Die junge Frau rannte zu einem Bahnmitarbeiter in einem etwas abgelegenen Häuschen. Der Mann lehnte es jedoch ab, den Zug sofort zu stoppen. Dieser könne sonst den Fahrplan nicht einhalten, soll er gesagt haben. "Da bin ich zur Polizei gerannt", schildert Ulrike Kracht ihre Odyssee.

Ihre Tochter saß unterdessen fast eine Stunde allein im Zug. Angeblich haben sich die ganze Zeit Bahnmitarbeiter um sie gekümmert. Zeugen bestreiten das. Die Zweijährige musste immerhin bis Neuruppin mitfahren - das sind sieben Stationen. Möglicherweise wegen des Bahn-Streiks ließ man das Mädchen nicht schon am nächsten Bahnhof aussteigen. Eine Bahn-Sprecherin sagte der "Bild"-Zeitung: "Es gab keinen Gegenzug in die andere Richtung, mit dem wir das Kind hätten zurückschicken können."

Die Beamten auf der Wache Pritzwalk fuhren mit der aufgeregten Mutter also zum Bahnhof in Neuruppin. Dort konnte Ulrike Kracht Marie-Luise endlich wieder in die Arme schließen. "Sie hat doll geweint. Ein Dankeschön an die Polizisten!" Die freundlichen Helfer in der Not brachten Mutter und Kind sogar wieder zurück nach Pritzwalk.

Das Verhalten der Deutschen Bahn ist für die Brandenburgerin unverzeihlich. "Ich werde die verklagen. Es kann einfach nicht sein, dass so etwas passiert." Die Bahn kündigte gestern eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls an. Bahn-Chef Rüdiger Grube entschuldigte sich bei der Mutter. In der Bahn-Mitteilung hieß es, intern werde untersucht, wie es zu der "Verkettung unglücklicher Umstände" kommen konnte. In den nächsten Tagen sollen die Mitarbeiter intensiv befragt werden.

Laut Bahn war die Kleine keiner Gefahr ausgesetzt

"Nach ersten Erkenntnissen war das zweijährige Kind jedoch während der unfreiwilligen Trennung von der Mutter unter Betreuung und keiner Gefahr ausgesetzt", bekräftigte die Bahn gestern. Eine Bahnmitarbeiterin habe nach der Meldung durch die Mutter beim Fahrdienstleiter schnell versucht, eine Lösung für den "bedauerlichen Vorfall" zu finden. Nach der Benachrichtigung habe der Lokführer das Kind im Führerhaus bis nach Neuruppin in seine Obhut genommen.