Nirgends sonst in Deutschland schien die Sonne im abgelaufenen Jahr länger als hier. Küste ist besser als ihr Ruf

Berlin. Vielleicht will die Natur die Menschen auf der Nordseeinsel Juist ein wenig entschädigen. Jahrhundertelang haben den Insulanern Sturmfluten zugesetzt. 1651 wurde das Eiland gar zwischenzeitlich geteilt. Eine andere Naturgewalt schafft Ausgleich: die Sonne. Laut Wetterdienst Meteomedia schien 2010 nirgendwo in Deutschland so lange die Sonne wie auf Juist. 1983 Stunden leuchtete das Gestirn auf einen Sensor namens "CSD3". Das funkte dieser an die Zentrale in der Schweiz. Dort errechnete der Computer die Hitliste: Juist vor Borkum und Westerhever mit je 1956 Stunden und Hiddensee mit 1936 Stunden.

Jeder Insulaner konnte im Schnitt 5,5 Stunden Sonne pro Tag genießen

Umgerechnet auf den Tag konnte sich der Juister Insulaner also über magische 5,5 Stunden Sonne freuen. Nicht umsonst nennt er seine Heimat auch "Töwerland" - zu Hochdeutsch "Zauberland". Und weil die 17 Kilometer lange, aber nur 500 Meter breite Insel so etwas ist wie ein ins Meer verlegter Sandstrand, preist ihre Webseite nun die "neue Sonnenkönigin" und das "Hawaii des Nordens".

"Den Button stecken wir uns gern an", sagt Bürgermeister Dietmar Patron. Seine Laune könnte in diesen Tagen nicht besser sein. Vor zwei Wochen sei seine Insel im NDR zur schönsten Insel Norddeutschlands gewählt worden. Dabei könne man ja kaum etwas dafür. Er selbst sei auch erst im zweiten Amtsjahr. "Aber schreiben sie ruhig: Patron lässt die Sonne scheinen."

Eigentlich hat die Insel zusätzliche Werbung nicht nötig. Im vergangenen Jahr kamen 100 000 Gäste, die im Durchschnitt zehn Tage blieben. Das sind eine Million Übernachtungen bei knapp 1700 Einwohnern.

Die aber hätten den außergewöhnlichen Sommer gar nicht bemerkt, sagt ihr Bürgermeister. "Er war nicht schlecht, aber auch nichts besonderes", hätten ihm die Nordsee-Hawaiianer erzählt. Der Norddeutsche fühlt eben anders als "CSD3" der Meteorologen.

Die Dauer des Sonnenscheins ist zudem nicht alles, was der Mensch wahrnimmt. Wind und Temperatur allein können das sommerliche Wetterwohlgefühl verzerren, sagt Meteorologe Thomas Globig von Meteomedia. Zudem sage die Sonnenscheindauer nichts über die Sonnenscheinintensität, fügt sein Kollege Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst hinzu.

Lux und Globig kennen auch die langfristigen Vorlieben der Sonne. Im 30-Jahre-Vergleich hätten meist die Messstationen entlang der Ostsee die Nase vorn. "Die sonnenscheinreichsten Orte liegen immer entlang der Küsten", sagt Lux. "Dort gibt es viele Hochdrucklagen und wegen der Seewinde wenig Nebel." Zudem sei die Sonne von Horizont zu Horizont lange unterwegs, assistiert Globig. Berge würden stören. Zum Vergleich: Freiburg im Breisgau, als sonnenreich gerühmt, kommt im Schnitt auf 1740 Stunden im Jahr.

Der Deutsche Wetterdienst mit anderen Kriterien und Messstationen führt mit nur 1827 Sonnenstunden eine eigene und andere Sonnenkönigin für 2010: die Insel Greifswalder Oie in der südlichen Ostsee. Juist und die Oie könnten unterschiedlicher nicht sein. Dass auf der Greifswalder Oie mit dem Ritterschlag des Wetterdienstes breit geworben wird, ist beispielsweise unwahrscheinlich. Das abgelegene Eiland ist ein Vogelschutzgebiet; Touristen dürfen es nur in geringer Zahl betreten.