Von morgen früh an sollen die 33 eingeschlossenen Bergleute in Chile befreit werden. Streit um die Reihenfolge

San José. Da staunte Chiles Gesundheitsminister Jaime Manalich nicht schlecht, als er den Bergleuten die Reihenfolge für ihre Rettung vorstellte. Einer der Kumpel widersprach: "Sehr gut, Herr Minister, aber ich möchte gerne als Letzter raus." Auch Bergmann Dario Segovia will nicht der Erste sein, weil er Angst hat. "Keiner will der Erste sein. Stell dir vor, 700 Meter nach oben zu fahren." Bei anderen Bergleuten war die Freude über die Rettung stärker: "Er hat keine Angst", sagte Crisologo Rojas über seinen Neffen Carlos Barrios. "Er will jetzt raus." Die Reihenfolge der Rettung wird nach bestimmten Kriterien festgelegt: Zuerst kommen die geistig Fittesten, dann die Schwächsten und am Ende die körperlich Stärksten.

Jetzt gibt es einen genauen Termin für die Rettung der seit dem 5. August in einem chilenischen Bergwerk eingeschlossenen Kumpel. Morgen um 0 Uhr Ortszeit (5 Uhr MESZ) wird der erste Retter in die Tiefe hinabgelassen, teilte Bergbauminister Laurence Golborne gestern am Bergwerk San José mit. Es soll etwa anderthalb bis zwei Tage dauern, bis alle 33 Bergleute aus 624 Meter Tiefe an die Oberfläche gezogen sind.

Die Rettung in der Atacama-Wüste wird live im deutschen Fernsehen übertragen. N24 plant Live-Schaltungen. Daneben soll es einen Live-Stream im Internet unter www.n24.de und www.zdf.de geben. Die ARD plant eine 15-minütige Sondersendung nach den "Tagesthemen".

Die Arbeiten zur Stabilisierung des Rettungsschachtes für die Verschütteten sind fast abgeschlossen. Ingenieure der chilenischen Marine haben drei Rettungskapseln mit Namen Phönix gebaut, die unterschiedlich lang sind: die ersten beiden rund vier Meter, die dritte nur zweieinhalb Meter. Sie sind mit Mikrofon, Lautsprecher und Flaschen zur Versorgung mit Atemluft ausgestattet, die rund 90 Minuten vorhalten. Vorgesehen war zunächst, auch die beiden relativ großen Phönix-Versionen mit Notausstieg zu verwenden. Ein Kumpel hätte sich daraus abseilen können, falls die Kapsel auf ihrem Weg nach oben stecken bleibt. Da der vom Bohrer gefräste Rettungsschacht nicht immer ganz senkrecht verläuft, soll nun nur die kürzeste der drei Kapsel-Versionen zum Einsatz kommen, die allerdings keinen Notausstieg hat. Die Fahrt aus der Tiefe nach oben soll jeweils 25 Minuten dauern. Bis die Kapsel dann wieder für den nächsten Bergmann hinabgelassen werden kann, vergehen weitere 25 Minuten. Insgesamt ist deshalb pro Geretteten eine Stunde veranschlagt.

Da der Ausstieg auch Gefahren birgt, ist die medizinische Betreuung der Bergleute bis ins kleinste Detail geplant. Die Kumpel haben Medikamente erhalten, die Blutgerinnseln vorbeugen sollen, außerdem Kompressionsstrümpfe sowie Spezialgürtel, die Herzfrequenz, Blutdruck, Puls, Sauerstoffzufuhr und Atmung überwachen. In den letzten sechs Stunden vor dem Aufstieg bekommen die Verschütteten dann noch ein sehr kalorienreiches Getränk, das die US-Weltraumbehörde Nasa zur Verfügung gestellt hat. Die Flüssignahrung soll Übelkeit während der Fahrt vorbeugen. Übelkeit sei jedoch das kleinere Problem, sagt der Hamburger Arbeitsmediziner und Druckluft-Arzt Dr. Karl-Peter Faesecke vom Wilhelmsburger Krankenhaus: "Wenn die Bergleute zu schnell nach oben gezogen werden, könnte viel Blut in die unteren Körperteile absacken, sodass zu wenig Blut im Gehirn verbleibt. Deshalb muss die Kapsel möglichst langsam geborgen werden, damit die Kumpel nicht bewusstlos werden."

Die Helfer vor Ort sind sich dieser Gefahr bewusst: Um die Kumpel während der Fahrten beobachten zu können, ist eine Kamera an der Kapsel angebracht. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme sollen sie Sauerstoffmasken tragen. Damit ihre Augen nach monatelangem Dämmerlicht unter der Erde nicht vom grellen Licht an der Oberfläche geschädigt werden, sollen sie Sonnenbrillen aufsetzen.

Nach der Bergung sei eine Quarantäne sinnvoll, sagt Dr. Faesecke: "Durch die schlechte Ernährung, das fehlende Sonnenlicht und den psychischen Druck wird das Immunsystem geschwächt sein. Sie könnten sich deshalb leicht mit Krankheitserregern infizieren oder ihre Angehörigen mit Krankheiten anstecken, die sie sich in der Gruppe unter Tage zugezogen haben."

Geplant ist, dass die Kumpel nach einem kurzen Treffen mit Angehörigen in ein Krankenhaus nach Copiapó geflogen werden. Wie sie die Erfahrung der vergangenen zwei Monate verarbeiten werden, sei "eine Frage der persönlichen Widerstandskraft", sagt Faesecke: "Einige werden vielleicht schon nach wenigen Wochen wieder in einer Mine arbeiten wollen, andere werden das nie wieder tun."