Oswalt Kolle machte aus seiner Einstellung zur Sexualität nie ein Hehl. Er brachte die Moralisten mit seinen Äußerungen zur Verzweiflung.

Amsterdam. "Ich hasse das Wort Aufklärung", sagte er einmal. Er verstand sich als "Brückenbauer zwischen Sexualforschung und Publikum". Dennoch haftete das Etikett "Aufklärer der Nation" Oswalt Kolle an wie ein besonderer Orden, erworben in zahlreichen Schlachten gegen konservative Familienminister, katholische Bischöfe und verkniffene Jugendschützer. Jetzt ist der Pionier tot. Oswalt Kolle starb am 24. September in Amsterdam, seiner Wahlheimat, den Niederlanden. Das gab seine Familie nach der Trauerfeier am Freitag bekannt.

Kirchen riefen erfolglos zum Boykott seiner Aufklärungsserie auf

Es war ausgerechnet der Boulevard-Journalist Kolle, der das Sexualverständnis der Deutschen Anfang der 60er-Jahre umkrempelte. Zuvor hatte er für "Bild" und die "B.Z." nur dem Intimleben von Filmstars nachgespürt. Erst seine großen Publikums-Serien, für die "Neue Revue" etwa "Dein Mann, das unbekannte Wesen", brachten den Dammbruch. Während die Kirchen zum Boykott der Serie aufriefen, wurde die Redaktion mit Zehntausenden Zuschriften überschwemmt. Männer wie Frauen sahen in Kolle einen Ratgeber, dem sie sich mit ihren Fragen endlich anvertrauen konnten.

Kolle, am 2. Oktober 1928 in Kiel geboren, kam durch seinen Vater, einen bekannten Psychiater, mit dem amerikanischen Kinsey-Report in Kontakt, der ersten großen Umfrage zum Thema Sexualität. Dem auch selbst sehr experimentiertfreudigen Arztsohn ging es zunächst um ganz handfeste Aufklärung über Intimzonen und körperliche Vorgänge beim Sexualakt. Was er aus den Zuschriften erfuhr, war aber nicht nur Unwissenheit, sondern vor allem eine lähmende Scham. Sein Vorsatz: "Wir müssen die Menschen von der Angst befreien, dass ihre Art, Sexualität zu erleben, irgendwie pervers oder unmoralisch ist."

Damit stieß Kolle in der sexualfeindlichen und moralinsauren Nachkriegszeit Tabus um. In den Zeiten des Kuppeleiparagrafen machten junge Leute ihre ersten sexuellen Erfahrungen notgedrungen heimlich. Wie Kolle erzählte, mussten er und seine Frau Marlies ihre Hochzeitsnacht 1953 im Hotel in getrennten Zimmern verbringen, weil sie die Heiratsurkunde nicht dabei hatten. Kirchliche und weltliche Sittenprediger hatten die Lufthoheit - bis erst die Pille und dann Oswalt Kolle sie entmachteten.

Zwischen 1968 und 1972 kamen insgesamt neun "Kolle-Filme" ins Kino. "Das Wunder der Liebe", "Deine Frau, das unbekannte Wesen" oder "Liebe als Gesellschaftsspiel" sahen weltweit 140 Millionen Zuschauer. In Deutschland musste Kolle zuvor bei der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) um viele Szenen kämpfen, in denen z. B. ein erigierter Penis zu sehen war. Oft hieß es: "Die muss raus."

Wegen der wütenden konservativen Angriffe gegen ihn siedelte er mit seiner Familie 1969 nach Amsterdam über. Seine Bücher, später auch über Sexualität im Alter, Bisexualität und 2008 seine Autobiografie "Ich bin so frei", wurden in 18 Sprachen übersetzt. Über seine private Sexualität sprach Kolle offen. Viele Bücher schrieb er in seinem Haus in Kampen auf der Nordseeinsel Sylt, "wo alle nackt herumsprangen". Mit seiner Frau Marlies führte er eine "offene Ehe" - beide hatten zahlreiche außereheliche Affären, er unter anderem mit den Schauspielern Romy Schneider, Horst Buchholz und O. E. Hasse, kehrten aber stets zueinander zurück und hatten drei Kinder. Zu seiner Bisexualität bekannte er sich öffentlich erst in den 90er-Jahren. Nach dem Krebstod seiner Frau im Jahr 2000 lebte er mit der Niederländerin Jose del Ferro zusammen.

Kolle wollte das Thema Sex nicht der Pornografie überlassen

Noch im Alter war Kolle ein temperamentvoller Talkshow-Gast, der sich blitzschnell in Rage reden konnte. Das Thema Sex sei heute allgegenwärtig, sagte er in einem Abendblatt-Interview. Viele hätten gehofft, dass mit seinen Filmen und Büchern die Sexualaufklärung "abgeschlossen" sei, nach dem Motto "Wir klären einmal auf - Herr Kolle, vielen Dank, jetzt wissen wir ja alles - und nun können wir wieder weiter über Kochkurse und Motorsport berichten und dieses schreckliche Thema Sex der Pornografie überlassen." Aber noch immer sprächen zu wenige Paare offen über ihre Vorlieben. Und was Jugendliche aus Pornos erführen, habe nichts mit Liebe zu tun.