Wissenschaftler streiten um die Folgen der schweren Waldbrände in Russland. Asche zieht in Richtung Ostsee

Moskau. Feuer in der Nähe von Tschernobyl: Diese Nachricht elektrisiert den Westen. Der Schock nach dem Reaktorunfall von 1986 sitzt tief. Die Russen, denen schlechte Neuigkeiten lange Jahre vorenthalten wurden, reagieren hingegen gelassen. Ökologisches Bewusstsein ist noch kaum vorhanden. Zwar haben die Behörden ihren Löscheinsatz in der westlichen Region Brjansk, in dem der Unglücksreaktor liegt, verstärkt. Ein Sprecher der regionalen Waldschutzbehörde erklärte, die Region werde verstärkt überwacht. Dass es in dem radioaktiv verseuchten Gebieten aber mehr gebrannt hat, als bisher offiziell zugegeben, nämlich an 28 Stellen, bestätigt der Sprecher erst auf Nachfrage. Insgesamt seien 3900 Hektar ein Raub der Flammen geworden. Noch immer wird gemauschelt.

Die russischen Behörden sehen keinen Anlass zur Sorge

Ganz offiziell wird die Bevölkerung beruhigt. Die Behörden sehen keinen Anlass zur Sorge. Sprecherin Jegoruschkina erklärte, ein Expertenteam habe die Gegend um Brjansk gründlich überprüft und bislang keine höheren Strahlungswerte als sonst festgestellt.

Anders sehen das die Umweltschützer, etwa der Umweltorganisation Greenpeace. Demnach könnten radioaktive Partikel, die sich in der Erde befinden, durch die Waldbrände in die Luft gewirbelt werden. Wind könnte den giftigen Staub dann in andere Gebiete tragen. Selbst geringe Mengen könnten für den Menschen schädlich sein, wie Greenpeace und andere Umweltorganisationen erklärten. Greenpeace wirft der Regierung vor, die Bevölkerung über die radioaktive Gefahr im Unklaren zu lassen und fordert sie auf, die Bevölkerung ehrlich zu informieren. Wladimir Tschuprow von Greenpeace Russland: "Das Monitoring zeigt, dass die Belastungen weit über den Grenzwerten liegen. Die Daten werden offiziell aber zurückgehalten."

Der Berliner Biologe und Biochemiker Ulrich Abram wies darauf hin, dass Radioaktivität durch Waldbrände in kontaminierten Gebieten zwangsläufig über weitere Bereiche verteilt werde. Dadurch würde zwar wahrscheinlich keine akute Gefahr für Menschen heraufbeschworen, sagte der Wissenschaftler der FU Berlin. Letztlich würden Gebiete radioaktiv verseucht, die zuvor nicht betroffen gewesen seien - "in Russland, Weißrussland, wohin immer der Wind weht". In diesem Fall müsse auch geprüft werden, ob eine weitere Produktion von Lebensmitteln in diesen Gebieten verantwortbar sei.

"Unter besonderen Bedingungen bei starkem Wind können die Partikel bis nach Moskau und Osteuropa fliegen", gibt auch der Ökologe Alexej Jablokow von der russischen Akademie der Wissenschaften zu.

Damit sind die Brände, die gestern im gesamten Land von 557 auf 612 stiegen, nicht mehr allein ein russisches Problem. Die möglicherweise kontaminierten Wolken aus Russland ziehen nach Westen. In den nächsten drei Tagen werden sie nach Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) voraussichtlich Polen und Südschweden erreichen. "Nach Deutschland werden bis zum Sonnabend keine Emissionen kommen." sagte DWD-Sprecher Uwe Kirsche. "Weiter als bis zum Wochenende gehen die Prognosen aber bislang nicht." Noch werde in Deutschland nichts gemessen.

Der DWD berechnet mehrmals täglich, wohin die Wolken aus den Brandgebieten ziehen. Die Ergebnisse der sogenannten Ausbreitungsrechnungen werden an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter übermittelt, das mögliche Gefahren einschätzt.

Finnland und Schweden halten das Risiko derzeit für gering

In Finnland und Schweden reagierten die Behörden gelassen auf mögliche Emissionen. Lenna Hietanen von der finnischen Behörde für Strahlen- und Nuklearsicherheit: "Aus unserer Sicht besteht derzeit keine Gefahr." Auch der Wissenschaftler Stig Husin von der schwedischen Behörde für Strahlensicherheit bezeichnete die Risiken für Schweden als "unerheblich".