Die Polizei ermittelt und steht vor der Frage: Was geschah mit Kirsten Heisig, die im Kampf gegen Jugendkriminalität bekannt wurde?

Berlin. Ihre Härte gegen kriminelle Jugendliche hat sie bekannt gemacht. Kritiker gaben ihr den Beinamen "Richterin Gnadenlos", in Fachkreisen wird sie bewundert. Seit Anfang der Woche ist die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, 48, spurlos verschwunden. Zum wiederholten Mal durchkämmten Polizisten am Freitag den Tegeler Forst am Nordrand Berlins. Wegen der Hitze funktionieren die Wärmebildkameras an Bord von Hubschraubern schlecht, die Spürhunde brauchen viele Pausen.

Angeblich sendete sie ihrer Tochter: "Das ist alles zu viel für mich"

Zuletzt gesehen wurde die Juristin am Montag. Um 9 Uhr erschien sie in ihrer Dienststelle am Amtsgericht Tiergarten. Kollegen sagten später, Heisig habe zerstreut gewirkt, was untypisch für die zielstrebige, geradlinige Richterin sei. Gegen 11 Uhr wollte sie zu ihrem Onkel nach Reinickendorf fahren. Termine am Nachmittag ließ sie platzen. Am Mittwoch meldete ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebt, sie als vermisst. Die Polizei fand ihren silbernen Mazda ordentlich geparkt und verschlossen in Reinickendorf. Im Auto lagen Handtasche, Ausweis und Geldbörse. Der Verbindungsnachweis des Handys ergab, dass sie dort noch telefoniert hat. Seitdem ist das Handy ausgestellt und kann nicht geortet werden.

Das letzte Lebenszeichen soll eine SMS an eine ihrer beiden Töchter, 13 und 15 Jahre alt, sein: Sie glaube, alles falsch gemacht zu haben und "das ist alles zu viel für mich", hat sie angeblich geschrieben. Heisig wollte mit den Mädchen in den nächsten Tagen Urlaub machen.

In Berlin, aber auch weit über die Hauptstadt hinaus, wurde sie 2008 bekannt. Damals hatte sie freiwillig die Zuständigkeit in dem Problemkiez Rollbergviertel in Berlin-Neukölln übernommen - hohe Arbeitslosenrate, hoher Ausländeranteil, hohe Jugendgewalt. "Wenn du schon rumkrakeelst, dann musst du auch in einem Problembezirk arbeiten", sagte die zierliche Frau damals.

Mit einem Kollegen initiierte die Juristin das "Neuköllner Modell". Es sieht schnelle Strafen für kleinere Delikte von Jugendlichen vor, aber auch erzieherische Maßnahmen, mit denen sie wieder auf den rechten Weg gebracht werden sollen. Die Gerichtsverhandlungen, die vor allem in deutschen Großstädten oft erst mit monatelanger Verzögerung beginnen, sollen innerhalb von drei Wochen nach der Tat stattfinden. In Hamburg braucht die Staatsanwaltschaft im Schnitt 29 Tage bis zur Anklage. Bis zum Urteil dauert es dann noch einmal rund 3,3 Monate. Das "Neuköllner Modell" erregte bundesweit Aufsehen und gilt vielerorts als vorbildlich. "Mit Samthandschuhen kommen wir nicht weiter", sagte die Richterin.

Sogar Schulschwänzer bekommen von ihr Geldbußen aufgebrummt. In Berlin kann das Eltern bis zu 2500 Euro kosten. Wenn auch das nicht hilft, droht Jugendarrest. Heisig glaubt daran, so die Spirale von Gewalt, Respektlosigkeit und Verwahrlosung stoppen zu können.

Im September soll ein aufrüttelndes Buch der Juristin erscheinen

Über ihre Erfahrungen hat die Juristin, die aus Kempen bei Krefeld stammt, ein Buch geschrieben: "Das Ende der Geduld - Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter" soll im September erscheinen. Erst kürzlich deutete sie in der "Berliner Morgenpost" an, es werde hohe Wellen schlagen und ihr Ärger mit den von ihr kritisierten Behörden einbringen. Auch der Vorwurf, sie sei ganz wild auf Öffentlichkeit, machte ihr zu schaffen. "Ich habe keine Freunde hinzugewonnen. Ich fühle mich oft als Exot wahrgenommen."

Liegt darin womöglich die Ursache für ihr Verschwinden? Die Polizei hat nach eigenen Angaben bisher keinerlei Hinweise darauf, dass Kirsten Heisig Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte. Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) äußerte, dass eher ein persönlicher Hintergrund vermutet werde.