Mehr als eine Woche nach den Todesschüssen von Neukölln gaben 2000 Menschen dem 22-jährigen Opfer die letzte Ehre. Der Schütze läuft frei herum.

Berlin. Mit einer bewegenden Trauerfeier haben rund 2000 Menschen Abschied von dem in Berlin-Neukölln erschossenen 22-Jährigen genommen. Die Trauernden versammelten sich am Nachmittag zum Totengebet für den jungen Deutsch-Türken im Hof der Sehitlik-Moschee. „Der Tod ist eine Tür ins Jenseits“, sagte der Imam. Er rief dazu auf, „ruhig und standhaft“ zu bleiben. Viele der jungen Anwesenden hatten ein Bild des Toten an der Brust angebracht, um an den vor mehr als einer Woche getöteten 22-Jährigen zu erinnern.

Freunde trugen den mit einem grünen Tuch bedeckten Sarg zum islamischen Friedhof neben der größten Berliner Moschee am Columbiadamm. Einige hielten Schilder hoch, auf denen zu lesen war: „Rassismus ist ein Verbrechen“. Polizisten versuchten, das zu verhindern. Viele in dem Trauerzug hatten rote Mützen aufgesetzt, wie sie der Getötete gerne trug.

Auch Menschen, die den 22-Jährigen nicht kannten, besuchten die Zeremonie. „Er ist ein Bruder, da muss man dabei sein“, sagte der 24-Jährige Ali. Zugleich zeigte er sich wie viele andere über die Tat erschüttert: „Ich weiß gar nicht, womit ich rechnen soll!“

Bereits am Vorabend hatten sich etwa 250 Menschen am Tatort am Klinikum Neukölln versammelt und Blumen niedergelegt. „Ich kann einfach nicht verstehen, warum das passiert ist“, sagte eine Frau.

+++ Nach Todesschüssen: 15.000 Euro Belohnung ausgesetzt +++

Am 5. April hatte ein Unbekannter gegen 1.15 Uhr ohne Vorwarnung und aus nächster Nähe auf fünf junge Männer geschossen. Sie sollen auf den Bus gewartet haben, berichten Freunde. Der 22-Jährige brach tödlich verletzt zusammen. Die Besatzung eines vorbeifahrenden Krankenwagens konnte ihm nicht mehr helfen. Zwei 16 und 17 Jahre alte Jugendliche erlitten lebensgefährliche Schusswunden.

Nach bisherigen Erkenntnissen flüchtete der Todesschütze in Richtung Möwenweg, aus dem er auch gekommen sein soll. Danach verliert sich seine Spur. Die Tat stellt die Polizei vor ein Rätsel. „Das mögliche Motiv des Täters ist bislang völlig unklar“, hieß es. Hinweise aus der Bevölkerung brachten die Ermittler bislang nicht weiter. Auch eine großangelegte Anwohnerbefragung blieb erfolglos.

Die Staatsanwaltschaft setzte am Freitag eine Belohnung in Höhe von 15.000 Euro für entscheidende Hinweise zum Täter aus. Der 40 bis 60 Jahre alte Mann soll etwa 1,80 Meter groß sein und eine dunkle Jacke sowie eine Baseballmütze oder eine Kapuze getragen haben. Die Polizei bittet auch Menschen, sich zu melden, die jemanden aus der Umgebung kennen, der als Täter infrage kommt.

Derzeit ist völlig offen, ob es zwischen dem Schützen und seinen Opfern eine Beziehung gab. Unter Verwandten und Freunden herrscht große Unsicherheit. Einige spekulieren über eine fremdenfeindliche Tat - auch mit Blick auf die Morde der Zwickauer Neonazi-Zelle. Die Ermittler haben dafür bislang keine Hinweise. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte ein Sprecher.

Die SPD-Migrationsexpertin Ülker Radziwill betonte, gerade nach „den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds müssen Polizei und Justiz für rechtsextreme und rassistische Tatmotive sensibilisiert sein“.

Für Irritation sorgte im Umfeld der Opfer der am Freitag ursprünglich in Neukölln geplante Aufmarsch der rechtsextremen NPD. Er wurde später nach Marienfelde verlegt. Linke Organisationen, die an dem Tag um 17.30 Uhr in Neukölln gegen Rechts demonstrieren wollen, sprachen von gezielten Provokationen.

Am Donnerstag hatte Innensenator Henkel (CDU) die Familie des Toten besucht. Er sicherte zu, dass die Ermittler alles tun würden, um den Täter zu fassen. Im „Tagesspiegel“ (Samstag) rief er dazu auf, sich stärker gegen die zunehmende Gewalt zu engagieren. „Polizei und Justiz können diese Aufgabe, die auch einen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag beinhaltet, allein nicht bewältigen.“