Hochspringerin Ariane Friedrich stellt beim sozialen Netzwerk Facebook einen Stalker an den Pranger. Experte warnt vor solcher Selbstjustiz.

Hamburg. Freunde sucht man sich im richtigen Leben für gewöhnlich sorgfältig aus. Weniger genau nehmen es die meisten Nutzer des sozialen Netzwerks Facebook. Da ist schnell mal jemand "geaddet" (der Freundesliste hinzugefügt), den man gar nicht kennt. Prominente haben auch noch "Follower". Diese interessieren sich für deren Verlautbarungen und suchen den persönlichen Kontakt. Dass das nicht jeder mit hehren Absichten tut, musste jetzt die Hochspringerin Ariane Friedrich, 28, erfahren.

Ein "Fan" ließ ihr eine obszöne E-Mail zukommen, im Anhang ein Foto, in dem er einen entblößten Teil seines Köpers zur Schau stellt. Angeblich. Zu überprüfen ist das derzeit nicht. Denn die Leichtathletin öffnete den Anhang nicht. Stattdessen veröffentlichte sie auf ihrer Facebook-Seite den Namen des vermeintlichen Übeltäters samt Wortlaut der anstößigen Mail. "Ich bin es schlicht leid", rechtfertigte die WM-Dritte von 2009 ihren Schritt. "Nur weil ich ein wenig mehr in der Öffentlichkeit stehe, heißt das noch lange nicht, dass Dritte mich in irgendeiner Art und Weise attackieren, beleidigen oder sexuell belästigen dürfen. Es ist Zeit zu handeln, es ist Zeit, mich zu wehren."

Den Rest erledigen andere. Das Facebook-Profil des mutmaßlichen Mail-Exhibitionisten war schnell ausfindig gemacht. Bis gestern Abend bekundeten mehr als 2850 Facebook-Nutzer ihre Sympathie mit der wehrhaften Geschädigten. "Absolut richtiger Schritt, solche perversen Spinner öffentlich an den Pranger zu stellen", schreibt einer. Das Persönlichkeitsrecht des Täters spiele für ihn keine Rolle, "zumal er mit seinem Verhalten ja auch Frau Friedrich in ihrer Persönlichkeit verletzt".

So eindeutig sieht das nicht jeder. In den mehr als 500 Kommentaren ist fast jede Meinung vertreten. Was ist, wenn es der unfreiwillig Geoutete gar nicht gewesen ist? Schließlich könnte sich jeder bei Facebook mit einem beliebigen Namen anmelden. "Sie haben einen Schuldspruch gesprochen, ohne zu wissen, ob es dieser Mann war." Bei den weiblichen Nutzern überwiegt dagegen Zustimmung zu Friedrichs Pranger-Aktion. Doch auch hier gibt es Kritik. Wie man überhaupt so viel Aufhebens wegen eines "rasierten Würstchens" machen könne, spottet eine der Kommentatorinnen. Rechtlich gesehen hat sich die Kriminalkommissarin nach Auffassung des Medienrechtsprofessors Thomas Hoeren von der Universität Münster der Verletzung der Persönlichkeitsrechte schuldig gemacht. "Ich kann emotional verstehen, dass jemand sagt: ,Ich habe die Nase voll' - und sich auf diese Weise wehrt. Aber juristisch gesehen ist das ein klarer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte", sagt Hoeren. Die Mail sei wie ein privater Brief zu behandeln. "Aus dem darf auch nicht ungefragt zitiert werden."

Dass durch Friedrichs Selbstjustiz der Schaden nur noch vergrößert worden sei, meint ein in Hamburg ansässiger Anwalt für Internet-Strafrecht. Wegen des anrüchigen Charakters der Angelegenheit möchte er unerkannt bleiben. "Das Auge-um-Auge-Prinzip ist in unserer Gesellschaft nicht ohne Grund kein akzeptiertes Mittel, um seine Interessen durchzusetzen", sagt der Experte. "Man muss hier sehr vorsichtig sein, um sich nicht selbst der Verleumdung schuldig zu machen." Ein Rechtsstreit würde wohl allerdings recht bald eingestellt, den Verursacher erwarte allenfalls eine geringe Geldbuße.

Doch dazu müsste dessen Identität erst eindeutig ermittelt werden. Der Beschuldigte erklärte gegenüber der "Bild"-Zeitung, sein Facebook-Account sei schon zweimal gehackt worden. In solchen Fällen kann ein Dritter, der in den Besitz der Zugangsdaten gelangt ist, in dessen Namen alles Erdenkliche veröffentlichen, um ihn in Misskredit zu bringen. Zudem wählte der Täter den Weg der E-Mail. Unter einer fremden Adresse kann jeder alles verschicken. Wer die Post tatsächlich verschickt hat, dürfte kaum festzustellen sein - zum Beispiel wenn der Absender einen fremden Rechner oder ein öffentliches Internet-Terminal benutzt hat.

Rückenstärkung erhielt die Athletin durch die Polizeigewerkschaften. "Sie hat als Person des öffentlichen Lebens richtig gehandelt und ein gutes Zeichen gesetzt. Strafverfolgung muss auf jeden Fall sein. Auch ich verfahre so, wenn ich wieder mal eine Morddrohung erhalte", sagte Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizei-Gewerkschaft. Ähnlicher Ansicht ist auch Josef Scheuring. Für den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei ist es völlig gleich, ob sie nur Privatperson oder Polizistin ist: "Die Anzeige war der richtige Schritt - jede Person des öffentlichen Lebens sollte so handeln, wenn sie in ihren Rechten verletzt wird."