Regierung verspricht 400 zusätzliche Polizisten nach Tod eines Nahverkehrsmitarbeiters. In Brüssel standen die Busse und Bahnen still.

Brüssel/Hamburg. Ein tödlicher Angriff auf einen Nahverkehrsmitarbeiter hat Brüssel erschüttert. Der 56 Jahre alte vierfache Familienvater - kurz vor dem Ruhestand - starb, als er am vergangenen Sonnabend einen Unfall zwischen einem Bus und einem Pkw aufnehmen wollte. Ein Freund des beteiligten Autofahrers streckte ihn mit einem Faustschlag nieder. Gegen den 28-Jährigen wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt.

Die Mitarbeiter des Nahverkehrsunternehmens STIB wehren sich dagegen, zur Normalität überzugehen. Gestern standen Busse und Bahnen in Belgiens Hauptstadt am vierten Tag in Folge still. Ein Extremfall - aber auch nicht völlig aus der Welt, schon gar nicht im Nahverkehr, dessen Mitarbeiter so einiges an Pöbeleien über sich ergehen lassen müssen. Auf einer Liste der europäischen Hauptstädte mit den meisten Morden pro Einwohner landet die Europahauptstadt Brüssel auf Platz fünf, haben EU-Statistiker für 2006 bis 2009 errechnet - Trend allerdings fallend. Die Anzahl vieler anderer Delikte hat indes zugenommen. Die Statistiker stellen dem Königreich generell kein gutes Zeugnis aus. Auch bei weniger schwerwiegenden Vergehen legte Belgien zwischen 2003 und 2009 zu. Der Drogenhandel nahm um 14 Prozentpunkte zu, Einbruchsdelikte stiegen um acht Punkte, Vergewaltigung und Raub um sieben Prozentpunkte. "Belgien, der schlechte europäische Schüler" titelte die Zeitung "Le Soir". "Es gibt Ecken, wohin sich die Polizei nicht mehr traut", beschrieb gestern Kriminologe Brice de Ruyver die Situation.

Mitarbeiter des öffentlichen Nahverkehrs wissen Ähnliches zu berichten. Ein Klima der Aggression beklagten die STIB-Angestellten nach dem tödlichen Faustschlag gegen ihren Kollegen. Allzu oft eskalierten banale Vorkommnisse wie Unfälle mit Sachschaden, berichtete gestern ein Polizeibeamter: "Es ist zunehmend so, dass vor allem mein Auto zählt. Und innerhalb dieser Logik ist der Verletzte nichts", beklagte Jean-Marie Brabant. "Am Ende geht es ums Geld", sagte ein STIB-Mitarbeiter am Rande des Trauermarschs am Montag. Das will die Regierung nun in die Hand nehmen: 400 neue Polizeibeamte hat Belgiens Innenministerin Joëlle Milquet der Hauptstadt versprochen.

Für Hamburg schätzt Christoph Kreienbaum die Lage für die Mitarbeiter in Bussen und U-Bahnen als sicher ein. "Die Präsenz unserer Wache ist bei uns sehr hoch, in Kürze wird unser Team von 220 um weitere 60 Personen erweitert", sagte der Sprecher der Hochbahn. 2011 gab es 30 Fälle, in denen sich Busfahrer akut bedroht fühlten. Weitere Schutzmaßnahmen sind die permanente Videoüberwachung in Bussen und U-Bahnen, ein Notfallknopf für das Personal und ein stummer Alarm (damit wird der Täter nicht provoziert) direkt in die Zentrale. "Außerdem werden unsere Mitarbeiter vor Arbeitsantritt geschult, damit sie bei einem Konflikt deeskalierend einschreiten können." Kreienbaum lobte die Zusammenarbeit mit der Polizei. "Bei Notfällen dauert es nur kurze Zeit, bis die Beamten vor Ort sind."

Ähnlich wie die Hochbahn schult auch die Deutsche Bahn ihre Mitarbeiter, die im Bereich der S-Bahn arbeiten. Grundsätzlich werden die Abteile und die S-Bahn-Gleise mit Kameras überwacht. "Zudem gibt es die Notfallknöpfe für Fahrgäste und Mitarbeiter", sagte Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis. Zudem sind regelmäßig Mitarbeiter der S-Bahn-Wache in den Bahnen unterwegs, immer in Zweierteams. "In den Nächten am Wochenende ist in jedem S-Bahn-Zug ein Team unterwegs, sodass bei Problemen sofort eingegriffen werden kann." Auch die Bahn will zusätzliche 50 Mitarbeiter im Sicherheitsbereich einstellen.