Francesco Schettino gibt an, versehentlich in ein Rettungsboot gelangt zu sein. Taucher stoppen Suche nach weiteren Opfern.

Rom. Nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" vor der toskanischen Insel Giglio hat Kapitän Francesco Schettino, 52, mit neuen Erklärungen für Aufsehen gesorgt. Er will unabsichtlich in ein Rettungsboot gefallen sein und habe deshalb nicht die Rettung der mehr als 4000 Passagiere von Bord aus koordinieren können.

Die Technik sei schuld gewesen. "Ich wollte nicht abhauen, sondern habe Passagieren geholfen, ein Rettungsboot ins Wasser zu lassen", sagte er vor einer Untersuchungsrichterin. Als der Absenkmechanismus blockierte und unerwartet wieder ansprang, "bin ich gestrauchelt und lag plötzlich zusammen mit den Passagieren im Boot". Daraufhin habe er nicht mehr aufs Schiff zurückkehren können, weil sich dieses zu sehr in Schräglage befunden habe. Ob diese Version stimmt, darf bezweifelt werden. Der Zweite Offizier Dimitri Christidis und der Dritte Offizier Silvia Coronica sollen dazu befragt werden.

In Italien wird die Frage diskutiert, ob der Süditaliener Schettino, der von seinem früheren Vorgesetzten Mario Polombo als Draufgänger bezeichnet wird, in der Unglücksnacht unter Schock stand oder gar ein Feigling ist. Der Erste Mann an Bord, von dem sein Offizier Martino Pellegrino sagt, "er würde selbst einen Bus wie einen Ferrari fahren", hat mittlerweile eingestanden, das verhängnisvolle Manöver vor der Insel Giglio selbst angeordnet zu haben. Der Kapitän hatte die "Costa Concordia" zur Unterhaltung der Inselbewohner zu nah an die Küste gesteuert. Dieses verbotene Ritual wird auch "Verbeugung" genannt. Gestern wurde bekannt, dass Schettino dieses Manöver dem Ex-Chef Polombo widmen wollte. Dieser sei aber nicht auf der Insel gewesen. Nach einem Telefonat mit Polombo habe Schettino zu spät abgedreht.

+++ Im Wortlaut: So widersetzte sich Schettino den Anweisungen der Küstenwache +++

"Ich bin zum Opfer meiner Gedanken geworden", sagte der Kapitän. "Irgendwas ist effektiv schiefgegangen bei dem Manöver." Zur Route sagte er: "Ich bin auf Sicht gefahren, weil ich die Wassertiefe kannte, da ich schon drei- oder viermal dort gewesen war, aber dass dort dieser Felsen war, hat mich überrascht." Dann habe er dafür gesorgt, dass das Schiff im Hafen von Giglio auf einer unter der Wasseroberfläche befindlichen Felsstufe zu liegen kam.

Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Die Anschuldigungen wiegen schwer: Totschlag, Verursachung einer Havarie, Verlassen des Schiffs, bevor alle Passagiere in Sicherheit gebracht wurden. Schettino drohen bis zu 15 Jahre Haft. Ein Gericht in Grosseto hat ihn unter Hausarrest gestellt. Er darf sein Grundstück in seinem Heimatort Meta di Sorrento im Golf von Neapel nicht verlassen und mit niemandem außer seiner Familie und seinem Anwalt sprechen. Die Ermittler führten zuvor einen Drogentest bei Schettino durch. Sie suchen nach Spuren von Kokain und anderen Substanzen, die bis zu zwei Wochen nachweisbar sein sollen.

Seit der Katastrophe am Freitagabend wurden elf Menschen tot geborgen. Einer von ihnen ist Deutscher. Über die Zahl der Vermissten gibt es widersprüchliche Angaben. Italienische Behörden sprechen von 28 Menschen, unter ihnen 13 Deutsche. Andere Quellen gehen von 24 Verschollenen aus. Erst gestern hatte sich nach Angaben italienischer Behörden eine als vermisst geglaubte Deutsche bei der Polizei gemeldet. Die Taucher riskierten auch gestern ihr Leben, um nach ihnen zu suchen. Das Schiff, das eine Schieflage von 80 Grad hat, droht aber in stürmischer See weiter abzusinken. Deshalb wurden die Rettungsarbeiten am Mittag unterbrochen. Wann sie wieder aufgenommen werden können, war am Abend noch unklar.

Italienische Medien feiern unterdessen Fregattenkapitän Gregorio De Falco, 46. Er hatte im Hafenamt in Livorno Dienst und wollte den Kapitän zurückschicken, als die "Costa Concordia" kenterte. "Er hat vor Wut geweint", wird ein Vorgesetzter De Falcos in der Zeitung "La Repubblica" zitiert. Demnach sagte De Falco: "Ja, ich weine, aber ich denke nicht, dass das eine Schwäche ist, Menschlichkeit ist keine Schwäche." Er stehe für ein Land, das sich an Regeln halte - "gegen das des Bunga-Bunga", hieß es bei Twitter in Anspielung auf die Affären des Ex-Regierungschefs Silvio Berlusconi. Doch sei das Land auch noch "voller Schettinos".

Videos zur Katastrophe www.abendblatt.de/concordia