Es fehlten 6,30 Euro für eine Fahrkarte, dafür wurde ein elfjähriger Junge von der Polizei aus einem Zug geführt. 50 Kilometer von zu Hause entfernt.

Berlin/Oranienburg. Die Deutsche Bahn hat Vorwürfe zurückgewiesen, nach denen ein elfjähriges Kind ohne gültigen Fahrschein allein aus einem Zug gewiesen wurde. Der Junge sei zu keiner Zeit unbeaufsichtigt gewesen, sondern am Bahnhof Oranienburg der Polizei übergeben worden, erklärte die Bahn am Dienstag. Damit sei der Mitarbeiter seiner Fürsorgepflicht „uneingeschränkt nachgekommen“. Weil ihm 6,30 Euro für einen Anschlussfahrschein fehlten, musste der Elfjährige am Montag rund 50 Kilometer vor seinem Ziel aus dem Regionalexpress aussteigen.

Der Junge war auf dem Heimweg von seiner Berliner Schule nach Brandenburg unterwegs. Obwohl die Familie vor kurzem von Berlin ins Umland gezogen sei, besuche er weiter seine alte Schule, sagte die Mutter. Der Elfjährige fahre die Strecke von der Berliner Haltestelle Gesundbrunnen Richtung Norden regelmäßig und routiniert. Am Montag habe sein Vater vergessen, dem Kind das Fahrgeld mitzugeben. „Dafür bestraft man aber doch keinen Elfjährigen - noch dazu bei einsetzender Dunkelheit“, kritisierte die Mutter. Die Polizei habe ihren Sohn regelrecht abgeführt und ihn extrem eingeschüchtert.

Obwohl sie telefonisch angeboten habe, das Geld am Zielbahnhof nachzuzahlen, musste die Frau ihr Kind fast eine Autostunde entfernt bei der Polizei abholen. Bei einer ähnlichen Situation vor drei Monaten dagegen sei es kein Problem gewesen, das Ticket im Nachhinein auf dem Ziel-Bahnsteig zu zahlen, erzählte die Mutter.

Die Bahn weist telefonischen Kontakt zu den Eltern zurück - der Junge habe die Nummer seiner Mutter nicht genannt. Sie sei ihm vor lauter Stress nicht eingefallen, sagte die Mutter. „Aber er hat mit seinem Stiefvater telefoniert und ich stand direkt daneben.“ Mit ein wenig gutem Willen des Schaffners sei ein Kontakt möglich gewesen.

Der Bahn-Mitarbeiter zog stattdessen einen Bundespolizisten zurate, der zufällig im Zug mitfuhr. Dieser habe den Jungen nach Ausweis und Adresse gefragt - die Anschrift auf dem Schülerausweis aber war veraltet. Der Beamte habe sich berechtigte Sorgen gemacht, dass der Junge von zu Hause weggelaufen sein könnte, erklärte die Bundespolizei. „Daher übergab er den Elfjährigen mit Eintreffen am Bahnhof Oranienburg seinen vorab informierten Kollegen.“ Diese hätten ihn mit Essen versorgt und betreut, bis er abgeholt wurde.

Im Regelfall lasse sich eine solche Situation auch am Ziel-Bahnhof klären, sagte ein Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn. Vor allem, wenn das Kind nicht aggressiv werde oder mit erkennbarer Absicht schwarz fahre, sollte der Schaffner zunächst den Kontakt zu den Eltern suchen. Hier habe der Zugbegleiter deutlich überreagiert.

Die Bahn hatte Ende 2008 als Konsequenz aus mehreren ähnlichen Vorfällen ihre Mitarbeiter dazu verpflichtet, Minderjährige keinesfalls aus Zügen zu weisen. Wenig später aber musste eine 13-Jährige im brandenburgischen Wittstock einen Zug verlassen, weil sie weder Fahrkarte, Geld noch Handy für einen Anruf zu Hause dabei hatte. Aus ähnlichen Gründen warf eine Schaffnerin in Mecklenburg- Vorpommern ein Mädchen aus dem Zug, das dann bei einbrechender Dunkelheit mit einem schweren Musikinstrument auf dem Rücken fünf Kilometer nach Hause laufen musste.