Schwedens berühmteste Erziehungsexpertin Anna Wahlgren wird in einem neuen Buch von ihrer Tochter Felicia angeprangert.

Stockholm. Sie ist die berühmteste Mutter Schwedens und gilt als das Erziehungsorakel schlechthin. Ihre Ratgeber für junge Eltern "Das Kinderbuch" und "Das Durchschlafbuch" erschienen auch in Deutschland und fanden viele Anhänger. Anna Wahlgren ist Mutter von sieben Töchtern und zwei Söhnen - und das bei immer wieder wechselnden Beziehungen. Sie war siebenmal verheiratet, mit einem Mann gleich zweimal, drei der Männer wurden Väter ihrer Kinder.

Doch die Erziehungstipps der mittlerweile 69-Jährigen waren von Anfang an umstritten. So empfiehlt sie zum Beispiel in ihrem unkonventionellen "Durchschlafbuch", Babys schreien zu lassen und mit einem bestimmten Druck auf den Po im Bett festzuhalten. Auf ihrer Homepage zeigte sie zudem in einem Video, wie dies funktioniert. Jetzt beschreibt Felicia, 44, Wahlgrens drittälteste Tochter, ihre Kindheit unter dem Pseudonym Felicia Feldt in dem Buch "Felicia ist verschwunden".

Das perfekte Bild von der liebenden Mutter, die ihre Kinder erzieht, einen Haushalt organisiert und gleichzeitig ein Buch nach dem anderen schreibt, während ihre Kinder Mittagsschlaf halten, fängt damit nun gewaltig an zu bröckeln. Ihre Tochter berichtet von Zeiten, in denen der Alkohol im Leben der Mutter eine wichtige Rolle spielte. Felicia und ihre Geschwister mussten sich lautstarke Streitereien zwischen ihrer Mutter und deren jeweiligen Lebenspartnern anhören und mit merkwürdigen, teilweise recht traumatischen Erlebnissen fertigwerden. Schon allein die Art, wie Felicia erfuhr, wer eigentlich ihr wirklicher Vater ist, kann schockieren. "Plötzlich machte sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus, dann sagte sie es. 'Es ist der Bruder von deinem Vater, also dein Onkel.'"

So kommen Eltern und Kinder am besten durch die Pubertät

Auch als Anna Wahlgren älter wurde, entwickelte sie sich nach Aussage ihrer Tochter keineswegs zu einer verständnisvollen Mutter und Großmutter. Einmal besuchte Felicia mit ihrem dreijährigen Töchterchen Wilma ihr früheres Zuhause. Das Kind sollte im Zimmer Wahlgrens übernachten. "Mitten in der Nacht sehe ich Wilma über den Rasen laufen, ihre Oma hinter ihr her. Sie packte Wilma an den Haaren und schleppte sie über die Wiese hinter sich her. 'Du kommst sofort wieder ins Bett, sofort!'", berichtet Felicia.

Anna Wahlgren hat sich bisher geweigert, zum Buch ihrer Tochter Stellung zu nehmen. Ihr einziger Kommentar: "Felicia ist 44 Jahre alt. Viele Menschen in diesem Alter müssen Erlebnisse aus der Kindheit verarbeiten. Die meisten tun es jedoch nicht öffentlich ... Mit ihrem Buch, das für mich eine Überraschung ist, versucht Felicia, mir die Ehre abzusprechen. Ich antworte damit, dass ich ihr nicht die Ehre absprechen werde. Ansonsten habe ich keinen Kommentar."

Bestseller-Autorin und neunfache Mutter

Wie heiß Anna Wahlgrens Theorien, die auch als "Astrid Lindgren der Pädagogikliteratur" bezeichnet wird, diskutiert werden, zeigt ein Blick ins Internet. Allein beim Onlinedienst Amazon gibt es mehr als 6000 Kommentare zu dem 800-Seiten-Wälzer "Das Kinderbuch". Darin forderte sie, Kinder voller Liebe, aber auch konsequent zu erziehen. Wichtig sei außerdem, dass man die Kinder in das soziale Netzwerk der Familie einbezieht. Ein glückliches Kind nehme zum Beispiel am Staubsaugen teil, und ein Zehnjähriger könne durchaus auch über die finanziellen Probleme der Familie informiert werden. Wahlgren propagiert feste Zeiten fürs Essen, Schlafen und Spielen, klare Regeln, einfache Mahlzeiten und vertraut ganz und gar in die Fähigkeiten des Kleinkindes, selbstständig alles Notwendige zu lernen - wenn es sich geborgen fühlt und gelernt hat, sich selbst zu beschäftigen.

Dass das alles auch so funktionierte, wie sie meinte, war angesichts ihrer neun Kinder - von denen eines als Kleinkind allerdings gestorben war - eigentlich logisch. Über ihre Erfahrungen äußerte sich Wahlgren in einem Interview mit den Worten: "Meine Kinder waren meine Universität. Ich studiere und forsche schon seit vielen Jahren."

Trotzdem gab es unter Erziehungsprofis von Anfang an Skeptiker. Der Stern der Bestsellerautorin - sie schrieb immerhin 27 Bücher- am Pädagogenhimmel sank schnell. Kinderärzte prangerten ihre Methoden als "fürchterliche Ratschläge" und den Kindern gegenüber als "übergriffig und kränkend" an. Sie rieten direkt davon ab und zeigten Wahlgren im Jahr 2009 schließlich sogar beim schwedischen Kinderschutzbund an. Diese entfernte daraufhin zwar das umstrittene Schlaf-Video von ihrer Internetseite, an der Methode selbst hält sie jedoch bis heute fest.