Tiefsee-Spezialist und “Titanic“-Regisseur James Cameron berät US-Behörden. Katastrophe erreicht auch Florida

Washington. Ähnlich hilflos wie 1912 der Kapitän der untergehenden "Titanic" muss sich die US-Regierung im Kampf gegen die Ölpest fühlen. Kein Geringerer als "Titanic"-Regisseur James Cameron, 55, soll den Durchbruch bringen. Die Bundesbehörden erhoffen sich von dem Hollywood-Recken ("Avatar") neue Ideen, um die Lecks in der Tiefe endlich zu schließen.

US-Filmemacher arbeitet an innovativen Ideen

Cameron gehörte zu einer Gruppe von mehr als 20 Wissenschaftlern und Ingenieuren, die sich mit Vertretern der Umweltschutzbehörde, der Küstenwache und des Energieministeriums getroffen haben. Der Regisseur gilt als Experte für Unterwasserfilme und ferngesteuerte Unterseeboote. James Cameron und sein kanadischer Landsmann Phil Nuytten, Chef der in Vancouver ansässigen Unterwassertechnik-Firma Nuytco, denken jetzt über innovative Wege zur Schließung des seit April am Meeresgrund sprudelnden Lecks nach.

Die Bohrinsel "Deepwater Horizon" des Mineralölkonzerns BP war am 20. April vor der US-Südküste explodiert, elf Menschen starben. Zwei Tage später sank sie. Seither strömen Tag für Tag Millionen Liter Öl ins Meer. Es erreichte gestern auch die Küste des Sonnenparadieses Florida. Ein dünner Ölfilm wurde 14 Kilometer von den berühmten weißen Sandstränden von Pensacola entfernt gesichtet, wie die Behörden erklärten. Obwohl Helfer Barrieren gegen das Öl errichteten, wurde nicht damit gerechnet, dass sie die Strände wirklich schützen können. Florida ist nach Louisiana, Alabama und Mississippi der vierte von der Ölkatastrophe betroffene US-Staat.

Am Wochenende war der Versuch gescheitert, das Leck in 1500 Meter Tiefe mit Schlamm und Zement zu schließen. Gestern startete BP einen neuen Anlauf, die Ölpest vor der US-Küste in den Griff zu bekommen. Das defekte Steigrohr sollte abgesägt werden. Dabei blieb das Sägeblatt stecken. US-Admiral Thad Allen sagte, er sei aber optimistisch, dass das Problem bald gemeistert werden könne.

Professor Matthias Reich von der Technischen Bergakademie in Freiberg, der deutschlandweit einzige Professor für Tiefbohrtechnik, erklärt die Schwierigkeit des neuen Plans, das Rohr abzusägen und einen Auffangbehälter über der Öffnung zu platzieren. "Es ist klar, dass die neue Glocke über dem Bohrloch das Problem nicht grundsätzlich löst. Vielmehr geht es darum, bis zu einer endgültigen Lösung so viel Öl wie möglich direkt an der Austrittsstelle abzusaugen, damit es nicht ins Wasser gelangt", sagt Reich. Zunächst sei es aber erforderlich, "den ganzen Schrott an der Austrittsstelle am Meeresboden abzusägen, um einen sauberen Auslass zu bekommen. Dort soll die Haube drauf und möglichst fest mit dem Rohr verbunden werden. Wenn's funktioniert, könnte das Öl durch eine Leitung auf ein Schiff gepumpt werden."

Dabei könnte aber kurzzeitig mehr Öl austreten. Reich weiter: "Sie müssen sich das wie bei einem geknickten Gartenschlauch vorstellen. Dort kommt am Ende zunächst wenig Wasser heraus. Wenn der Knick beseitigt ist, sprudelt es viel stärker. Dieser Effekt wird auch bei dem jetzigen Versuch eine Rolle spielen." Das sei der Preis dafür, wenn man später so viel Öl wie möglich absaugen wolle, betont der Wissenschaftler. Das Rohr am Meeresboden zu verschließen sei keine Lösung: "Da würde sich ein so großer Druck aufbauen, dass er das System an einer anderen Stelle zum Platzen bringt. Die wirkliche Kontrolle über das Bohrloch bekommt man nur, wenn man es direkt an der Lagerstätte einige Kilometer unter dem Meeresboden verschließt." Das ist nur durch eine sogenannte Entlastungsbohrung möglich.

Nach Reichs Angaben ist das eine bewährte Methode, die es schon seit fast 70 Jahren gibt. Mit zwei solcher Bohrungen sei im Golf von Mexiko Anfang Mai bereits begonnen worden, sagt Reich. Bei Entlastungsbohrungen werden die Löcher von anderen Bohrinseln angelegt, die im Bereich der Lagerstätte liegen und die außer Kontrolle geratene Bohrung treffen müssen. Dadurch kann Bohrschlamm in die defekte Bohrung gelangen. Sobald diese Spülung das Öl erfolgreich in die Lagerstätte zurückgedrängt hat, kommt Zement in die Öffnung, um den Bereich großflächig zu "versiegeln".

Die Entlastungsbohrung muss zentimetergenau sein

"Der Nachteil ist nur: Entlastungsbohrungen müssen sehr sorgfältig gemacht werden, und das braucht seine Zeit, vielleicht zwei bis drei Monate", sagt der Experte. "Die Bohrung hat nur gute 20 Zentimeter Durchmesser - die muss genau getroffen werden. Das ist eine schöne Übung für die Richtbohrtechnik - ein kleines Ziel im großen Raum zuverlässig zu treffen." Das sei aber nichts Neues. Fast alle Bohrungen nach Öl und Gas seien heutzutage solche Richtbohrungen. Der Bohrer misst selbstständig, wo er ist, und korrigiert bei Bedarf seine Richtung. So kommt man am Ende genau dorthin, wohin man möchte. "Das ist kein grundsätzliches Problem, man muss es nur sorgfältig machen, und deshalb dauert es lange", sagt Reich.