Sechs Freiwillige lassen sich in einen Container sperren, um den Flug zum Mars zu simulieren. Getestet wird, ob die Reise psychisch auszuhalten ist.

Moskau. 520 Tage dauert etwa ein Ausflug zum Mars und zurück. Und so lange – knapp eineinhalb Jahre – lassen sich von diesem Donnerstag an sechs Männer im besten Alter in Moskau in einen Container sperren und rund um die Uhr von modernster Technik überwachen. Auf dem Gelände des Instituts für biomedizinische Probleme wird ein Flug zum Roten Planeten simuliert, so realitätsnah wie möglich, im Dienste der Wissenschaft. Es ist das bisher längste Weltraum-Experiment.

Auch zahlreiche deutsche Forscher können den Start von „Mars500“ kaum erwarten. Von den mehr als 100 geplanten Experimenten stammen 11 aus deutschen Ideenschmieden. „Die Antworten sollen auch den Menschen auf der Erde helfen“, sagt Peter Preu vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bei einem Besuch in Moskau.

12480 Stunden werden die sechs Freiwilligen aus Russland, China, Frankreich und Italien gemeinsam verbringen, eingeschlossen auf 180 Quadratmetern. Das ist fünfmal so lange wie beim ersten Langzeitexperiment der Mars-Forscher vor gut einem Jahr. Damals verbrachte unter anderem der Düsseldorfer Oliver Knickel 105 Tage unter Beobachtung im Moskauer „All“.

„Wir bedauern sehr, dass diesmal kein deutscher Kandidat dabei ist“, sagt DLR-Projektleiter Peter Gräf. Der in Eschweiler bei Aachen stationierte Bundeswehr-Hauptmann Knickel als „Wiederholungstäter“ steht nicht zur Verfügung. „Bereits meine 105 Tage lange Isolation mit fünf Kollegen war ein Härtetest in Sachen Toleranz“, sagte er.

520 Tage Monotonie, Leistungsdruck und kaum Kontakt zur Außenwelt warten nun auf die sechs Männer zwischen 26 und 38 Jahren. „Die Probanden sind einerseits Untersuchungsobjekte, andererseits der verlängerte Arm der Forscher“, sagt Preu. Schließlich müssen die „Raumfahrer“ vollkommen autark leben, arbeiten und sich notfalls auch medizinisch versorgen.

Fast immer dabei: Kameras, Satelliten und Sensoren. Psychologen beobachten die Versuchsteilnehmer und analysieren ihr Sozialverhalten. Wie viel Zeit verbringt wer mit wem und wo? Es klingt stark nach „Big Brother“, doch rausgeworfen wird hier niemand. Erst bei akuten Problemen wollen die Versuchsleiter eingreifen. Etwa, wenn ein Teilnehmer Selbstmordgedanken äußert.

Und Sex? „Sie werden sich wohl auf dieselbe Weise behelfen wie Knackis“, sagt der Hamburger DLR-Psychologe Bernd Johannes und tippt auf Selbstbefriedigung. In ihrem spartanischen Privatbereich von drei Quadratmetern stehen die Teilnehmer ausnahmsweise nicht unter Beobachtung.

Möglichst realitätsnah soll der Versuch ablaufen: So dauert es 20 Minuten, bis eine Nachricht der Crew bei den Betreuern am „Boden“ ankommt. So lange benötigt schließlich auch ein Signal mit Lichtgeschwindigkeit vom Mars, der etwa 200 Mal weiter entfernt ist von der Erde als der Mond.

Regelmäßig liefern die „Astronauten“ Blut- und Urinproben ab, auch ihr Sperma wird vor dem „Abflug“ und nach der „Rückkehr“ untersucht. „Der Einblick ist beeindruckend“, sagt stellvertretend der Erlanger Mediziner Jens Titze. Die Forscher sprechen davon, dass ein Traum für die Wissenschaft in Erfüllung geht.

Etwa zwei Millionen Euro der direkten Kosten in Höhe von insgesamt rund zehn Millionen zahlen das DLR und die europäische Weltraumbehörde ESA. Der deutsche Anteil stammt vom Bundeswirtschaftsministerium. Hinzu kommen die von den Forschungsinstituten angeworbenen Mittel für die einzelnen Versuche.

Titze ist für die Ernährung der „Marsianer“ verantwortlich. Monatelang hat er mit seinem Team das Menü ausgetüftelt. „Die Männer wissen schon jetzt, was sie am 21. Dezember zu Mittag essen“, erzählt Titze. Dabei musste er auch auf die unterschiedlichen Essgewohnheiten Rücksicht nehmen. Die drei Russen bekommen auch im „All“ ihre Lieblingssuppe aus roten Beeten mit dicken Fettaugen. „Die westeuropäische Diät ist zu wenig Borschtsch-lastig“, sagt Titze.

Vier Tonnen Lebensmittel sind mit an „Bord“, wenn sich hinter den Probanden die Luke schließt. Titze will vor allem herausfinden, wie sich der Anteil von Kochsalz auf den Bluthochdruck auswirkt. Der Mediziner ist überzeugt: Nimmt der Mensch statt zwölf Gramm Kochsalz täglich nur noch neun zu sich, sinkt das Risiko von den in Deutschland weit verbreiteten Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich - und damit auch die Belastung der Krankenkassen. „Für das Gesundheitssystem sind das keine Peanuts“, sagt Titze. Die „Reise zum Mars“ soll sich schließlich auf der Erde auszahlen.