Der fast sechs Tonnen schwere Schwert-Wal reißt die 40-jährige Frau in das Meerwasserbecken und zieht sie an ihrem Pferdeschwanz in die Tiefe.

Orlando. Tillikum wiegt knapp sechs Tonnen und ist als unberechenbar bekannt: Der Orca-Wal, zuhause im Meerestierpark SeaWorld in Orlando, war bereits an zwei tödlichen Unfällen beteiligt. Jetzt hat er erneut ein Opfer in den Tod gerissen. Mehrere Dutzend Zuschauer musste mit ansehen, wie der Wal eine Trainerin packte, die sich zu ihm gebeugt hatte und seinen Bauch kraulte. Das Tier zog die Frau ins Becken und schleuderte sie dort immer wieder hin und her.

Für die 40-jährige Dawn Brancheau - eine der erfahrensten Trainerinnen des berühmten Tierparks - kommt wenig später jede Hilfe zu spät, sie kann nur noch tot aus dem Wasser geborgen werden. Brancheau sei auf der Plattform über dem Becken ausgerutscht und ins Wasser gefallen, sagt der Sprecher der Polizei im Orange County, Jim Solomon, auf einer Pressekonferenz gut zwei Stunden nach dem tragischen Vorfall. Dieser Darstellung widersprechen allerdings mehrere Augenzeugen. Ein brasilianisches Paar, Joao Lucio DeCosta Sobrinho (28) und seine Freundin Talita Oliveira (20), beobachteten nach eigenen Aussagen das Geschehen von einem Unterwasser-Aussichtspunkt. Bei ihrem zweiten Besuch habe der gewaltige Orca- Bulle – anders als zuvor – sichtlich gereizt gewirkt, sagten sie der „Los Angeles Times“. Nachdem er die Trainerin an ihrem Oberarm gepackt hatte, habe er die Frau immer wieder aufs Wasser geklatscht. Brancheau blutete aus dem Mund oder im Gesicht: „Es war schrecklich, schlimm, es mit anzusehen“.

Die Tiertrainerin Dawn Brancheau befand sich nach einer Vorführung am Mittwoch auf der Plattform eines Meerwasserbeckens und massierte den 5.500 Kilogramm schweren Wal als Belohnung für seine gute Leistung. Der Wal sei plötzlich aus dem Becken gesprungen, berichtete die Augenzeugin Victoria Biniak. „Dann kam er zurück, schoss in die Luft hoch, packte die Dompteurin an der Hüfte und begann, sie herumzuwirbeln“, sagte sie dem Sender WKMG-TV. Der Leiter des Dressurprogramms der SeaWorld-Parks, Chuck Tompkins, sagte dem Sender ABC, der lange Pferdeschwanz Brancheaus habe sich direkt vor dem Wal hin und herbewegt. Daran habe er sie unter Wasser gezogen und dort festgehalten.

Tillikum, genannt Tilly, ist der größte „Killerwal“, der in einem der zahlreichen nordamerikanischen Meerestierparks gefangen gehalten wird. Er war nach dem ersten tödlichen Unglück 1991 im kanadischen Victoria (British Columbia) als Zuchtbulle nach Orlando gekommen. In Victorias „Sealand“ hatte Tilly eine Trainerin zusammen mit zwei weiblichen Orcas in die Tiefe gezogen. In Orlando zeugte er etliche Orca-Babys, berichtete die Zeitung „Orlando Sentinel“. Wegen seiner Größe und Vergangenheit verbot SeaWorld seinen Trainern, mit Tilly zu schwimmen.

Als sich 1999 ein Besucher in SeaWorld versteckte und in der Nacht zu den Orcas ins Becken stieg, wurde er am nächsten Morgen tot auf Tillikums Rücken gefunden. Sein Körper war verschrammt und zeigte Bisswunden. Die offizielle Todesursache lautete „Unterkühlung“. Die Temperatur im Becken der Schwertwale (Orcas) wird bei etwa zehn Grad Celsius gehalten.

Der für die Tiere in allen SeaWorld-Tierparks zuständige Kurator, Chuck Tompkins, verteidigte Tilly gegenüber dem „Orlando Sentinel“: „Wir sollten nicht vergessen, dass es tausende Kontakte (zwischen den Trainern und) diesem Tier gab, ohne dass irgendetwas passierte“. Die internationale Wal- und Delfinschutzgesellschaft (WDCS) widerspricht. „Orcas sind wildlebende, starke und oftmals unberechenbare Tiere, Sie sind generell ungeeignet für die Gefangenschaft“, weil sie dort unter Stress leiden, warnt die Organisation auf ihrer Internetseite (www.wdcs.org). Erst vor zwei Monaten hatte sich ein ähnliches Unglück in einem Orca-Becken auf Teneriffa zugetragen. Dabei kam ein 29-jähriger Trainer ums Leben.

Kein anderer Pfleger habe mehr Erfahrung mit „Tilikum“ gehabt als Brancheau, und sie sei eine der erfahrensten Trainerinnen überhaupt gewesen, sagte Chuck. Was mit dem 30 Jahre alten „Tilikum“ geschehen sollte, sei noch nicht entschieden. Die Schwester der Getöteten sagte, Brancheau würde nicht wollen, dass ihm etwas passiere. „Sie liebte Wale wie Kinder“, erklärte Diane Gross. Nur etwa ein Dutzend SeaWorld-Mitarbeiter arbeiteten überhaupt mit „Tilikum“. Laut einem Bericht der Zeitung „Sentinel“ in Orlando von 2006 arbeitete Brancheau damals bereits seit zehn Jahren mit Schwertwalen. „Man kann nicht ins Wasser gehen, wenn man ihnen nicht traut und sie einem nicht trauen“, zitierte das Blatt die Tiertrainerin.

Der Experte Steve McCulloch vom Marine Mammal Research and Conservation Program der Florida Atlantic University sagte, vielleicht habe der Wal nur spielen wollen. „Das sind sehr große und mächtige Meeressäugetiere. Sie zeigen ein solches Verhalten auch in Freiheit.“ Zuschauer einer vorherigen Walshow am Mittwoch sagten, „Tilikum“ habe sich verhalten wie ein störrisches Kind. Schwertwale werden auch als Orcas bezeichnet; der wissenschaftliche Name der bis zu acht Meter langen Tiere lautet Orcinus orca.