Der Verdacht gegen einen Freund hat sich nicht erhärtet. Das 21 Jahre alte Opfer ist erleichtert.

Wien. Die Ermittlungen im vermutlich rätselhaftesten Kriminalfall Österreichs sind abgeschlossen. Wolfgang Priklopil (gest. 44) hat Natascha Kampusch (21) ohne die Hilfe von Komplizen im März 1998 entführt und anschließend achteinhalb Jahre gefangen gehalten. "Die Mehrtätertheorie ist - nach allem, was wir wissen, und wir wissen zwar nicht alles, aber viel - auszuschließen", sagte Werner Pleischl, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, am Freitag im Wiener Justizpalast. Auch Priklopils Freund und Geschäftspartner Ernst H. sei keine Tatbeteiligung nachzuweisen.

Die Staatsanwaltschaft hat im Herbst 2008, also gut zwei Jahre nach Kampuschs Flucht und dem Selbstmord ihres Entführers, den Fall neu aufgerollt und seitdem 110 Personen befragt, 30 von ihnen als Zeugen, Ernst H. als Beschuldigten. Der Immobilienunternehmer war unter Verdacht geraten, weil er Priklopil kurz nach der Entführung 36 000 Euro gegeben hatte. Außerdem hatte er unmittelbar nach Kampuschs Flucht eine Polizistin gefragt, ob Priklopil sein Opfer umgebracht habe, obwohl die Beamtin ihm nichts von einem gefangenen Mädchen erzählt hatte. Im Zuge der neuen Vernehmungen gab H. nun zu, dass sein Freund Priklopil ihm die Tat kurz vor seinem Selbstmord gestanden habe. Die Zahlung erklärte er mit Schwarzgeldgeschäften. Damit konnte er den Verdacht der Mittäterschaft ausräumen. Wegen finanzieller Manipulationen und seines Verhaltens am Tag der Flucht ermittele die Staatsanwaltschaft aber weiter gegen Ernst H., sagte Pleischl. Sollte sie ihm Mithilfe beim Selbstmord oder bei der Flucht vor der Polizei nachweisen können, droht dem Unternehmer ein Strafverfahren.

Der ermittelnde Staatsanwalt Thomas Mühlbacher nahm zu weiteren Indizien Stellung, die bisher Zweifel an der Einzeltätertheorie genährt hatten. Eine damals zwölf Jahre alte Zeugin, die bei der Entführung ursprünglich zwei Männer beobachtet haben wollte, räumte nun ein, dass sie sich geirrt haben könnte. Priklopil habe Natascha Kampusch gegenüber unmittelbar nach dem Kidnapping von "den anderen" gesprochen, um sie zusätzlich einzuschüchtern. Das Verlies sei zwar zum Zeitpunkt der Tat noch nicht eingerichtet, aber im Hinblick auf Wasser und Belüftung schon für den längeren Aufenthalt eines Menschen vorbereitet gewesen. Den Tresor am Eingang des Verlieses, den man verrücken musste, um es zu betreten, habe er mithilfe eines Hebels bewegen können. Darüber hinaus seien alle 25 aus dem Verlies entnommenen DNA-Proben Priklopil oder Kampusch zugeordnet worden.

Die Frage, warum Priklopil ausgerechnet die damals 10-jährige Natascha verschleppte, konnte aber auch Staatsanwalt Mühlbacher nicht beantworten. Kontakt zwischen dem Entführer und den Angehörigen seines Opfers habe es jedenfalls entgegen anderslautender Gerüchte nicht gegeben, betonte der Jurist. Hinweise auf Priklopils Motive gebe nur die Aussage seines Freundes. Demnach hatten Ernst H. und Priklopil darüber gesprochen, sich künftig stärker auf ihr Privatleben zu konzentrieren. So habe Priklopil erzählt, ihm sei damals klar geworden, dass er wohl keine Frau mehr finden würde und habe den Entschluss gefasst, ein Kind zu entführen, um sich eine Partnerin "zu formen".

Der Chef der Sonderkommission Kampusch, Kurt Linzer, sagte, seine Truppe habe in 10 000 Arbeitsstunden jeden auch noch so obskuren und skurrilen Hinweis überprüft, nun sei es an der Zeit, "mit den Spekulationen Schluss zu machen". Natascha Kampusch selbst ließ gestern ausrichten, sie sei erleichtert über das Ergebnis und wünsche sich, dass ihr Fall nun ein Ende fände.